• Bröckelt die ärztliche Therapiefreiheit?

    Dr. med. Hans Gehle: Weder konfessionelle noch ökonomische Vorgaben dürfen unsere ärztliche Entscheidungen einschränken
    18.August 2025
    Vor wenigen Wochen habe ich an dieser Stelle schon meine Besorgnis zum Ausdruck gebracht, wenn ein Arbeitgeber einem Arzt vorschreibt, ob er einen medizinisch indizierten und somit nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch vornehmen darf oder nicht. Nach einer Klinikfusion in Lippstadt hatte der neue katholische Träger dies einem Chefarzt untersagt. Die dagegen gerichtete Klage des betroffenen Arztes hat nun das örtliche Arbeitsgericht mit dem Hinweis auf das Direktionsrecht seines Arbeitsgebers zurückgewiesen. Hat die Kirche damit bei der ärztlichen Behandlung das letzte Wort? Wir müssen zunächst auf die schriftliche Begründung des Urteils warten.

    Die richterliche Entscheidung in dem Prozess um die medizinisch indizierte Abtreibung verstärkt meine Besorgnis, meine Sorge geht jedoch weit über diesen Rechtsstreit hinaus. Entscheidend wird am Ende die Frage sein, wie weit darf das Direktionsrecht eines Arbeitgebers ärztliches Handeln künftig bestimmen?

    Zunächst zum konkreten Fall: Wir Ärztinnen und Ärzte dürfen keinesfalls Frauen in schwierigen Ausnahmesituationen allein lassen. Sie wenden sich in einer schweren emotionalen und existentiellen Situation Hilfesuchend an uns. Ihre physische und psychische Gesundheit ist gefährdet, zumeist liegen schwere Fehlbildungen des Fötus vor.

    Es wäre für uns Ärztinnen und Ärzte unethisch und unakzeptabel, die Frauen nur fachlich zu beraten, aber mit der medizinischen Behandlung solange zu warten, bis das Leben der Mutter oder des Kindes gefährdet und der Abbruch kirchenrechtlich erlaubt ist. Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht gezwungen werden, einen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch zu unterlassen. Unzweideutig müssen schwangere Frauen einen sicheren Zugang zur medizinischen Hilfe haben.

    Ich halte es für unverantwortlich, Frauen in Notlagen wegzuschicken, weil ein christlicher Träger eine fachliche und verantwortungsvolle Medizin aus religiöser Überzeugung ablehnt. Zählt in katholischen Kliniken unsere ärztliche Expertise nicht mehr? Ist sie woanders nun auch gefährdet? Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes könnte unsere ärztliche Entscheidungsfreiheit erschüttern und aushöhlen. Können künftig etwa private Klinikträger aus ökonomischen Gründen ihren Ärztinnen und Ärzte untersagen, bestimmte Therapien nicht mehr durchzuführen? Das würde unser ärztliches Selbstverständnis zerstören.

    Ich vertrete eine klare Auffassung: Alle Ärztinnen und Ärzte müssen in Diagnostik und Therapie unabhängig und weisungsfrei arbeiten können. Wir sind überzeugt, dass Ärztinnen und Ärzte nach sorgfältiger Abwägung gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten fachlich frei entscheiden können müssen. Weder konfessionelle noch ökonomische Vorgaben dürfen bei unserer alltäglichen medizinischen Arbeit eine Rolle spielen. Das ist mit unserem ärztlichen Ethos nicht vereinbar.