Marburger Bund Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz – Hauptversammlung 2025
Die Delegierten der Hauptversammlung des Marburger Bundes NRW/RLP haben am 13. September 2025 in Köln die nachfolgenden Beschlüsse gefasst:
Beschluss Nr. 1
Einführung eines validierten Patientensteuerungssystems zur Entlastung der Notaufnahmen erforderlich
Der Marburger Bund NRW/RLP fordert die Einführung eines hybriden Steuerungssystems, das über das Primärarztsystem hinausgeht und die folgenden Kernkomponenten umfasst:
- Verbindliche präklinische Steuerung: Patienten müssen vor dem Besuch einer Notaufnahme verbindlich durch eine zentrale Stelle triagiert werden. Dies kann digital oder telefonisch erfolgen und leitet die Patienten in die verantwortliche Versorgungsstruktur verbindlich weiter (z.B. kassenärztliche Bereitschaftspraxis, Facharzt oder Notaufnahme).
- Validierung und Evaluation: Das Steuerungssystem muss wissenschaftlich validiert und seine Wirksamkeit kontinuierlich evaluiert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass es die Patienten sicher und effizient leitet und nicht zu Engpässen führt.
Informationszugriff und Vermeidung von Arzthopping: Um die Patientensicherheit zu erhöhen und Doppeluntersuchungen sowie unnötige Arztbesuche zu verhindern, muss es Ärztinnen und Ärzten in Notaufnahmen und kassenärztlichen Notfalldiensten bei einer erneuten Vorstellung des Patienten möglich sein, Einsicht in bereits erfolgte Vorstellungen zu erhalten. Dieser Zugriff auf relevante Behandlungsdaten würde die Diagnosestellung beschleunigen und die Therapie verbessern. Die hierfür notwendigen gesetzlichen und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen sind zu schaffen.
Beschluss Nr. 2
Finanzkrise der Krankenhäuser beheben durch Beendigung der „Satellitenwirtschaft und Misstrauenskultur“
Der Marburger Bund NRW/RLP fordert die Bundesgesundheitsministerin und den Sachverständigenrat für Wirtschaft (Wirtschaftsweisen) auf, die durch Einführung des „DRG-Systems“ seit 2003 erzwungenen und exponentiell wachsenden Kosten dieser „Satellitenwirtschaft“ im stationären Gesundheitssektor zu berechnen und jährlich zu veröffentlichen. Diese „Transaktionskosten“ sind Teil der Krankenhaus-Finanzkrise. Sie müssen endlich reduziert und der Patientenversorgung wieder zugeführt werden.
Durch Einführung des DRG-Fallpauschalensystems 2003 zur Abrechnung stationärer Behandlung entwickelte sich parallel eine gigantische „Satellitenwirtschaft“ und „Misstrauenskultur“.
Auf der Seite der Krankenhäuser entstehen für die Erfüllung von Dokumentationspflichten, Codierung und Controlling nicht nur hohe Kosten für IT und Personal, sondern auch für Dienstleistungs- und Beraterfirmen.
Auf der Seite der Krankenkassen und Medizinischen Dienste durch immer neue und erweiterte Prüfungs- und Abrechnungsvorgaben Kosten für aufwendige Fallprüfungen und ein wachsender Personalaufwand.
Institute und Gremien wie der G-BA, IQTiG, InEK, DIMDI-jetzt BfArm und IQWiG müssen mitfinanziert werden.
Hinzukommen Kosten für juristische Abrechnungsauseinandersetzungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen
Hierdurch werden immer höhere Anteile der Beitragszahlungen des Solidarsystems zweckentfremdet und stehen damit nicht mehr der Gesundheitsversorgung der Versicherten zur Verfügung.
Beschluss Nr. 3
Medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche sind verpflichtender Teil des Leistungsbereiches 21.1 "Frauenheilkunde und Geburtshilfe"
Der Marburger Bund NRW/RLP fordert die Landesregierung Nordrhein-Westfalen auf, medizinisch indizierte stationäre Schwangerschaftsabbrüche als verpflichtenden Bestandteil im Leistungsbereich 21.1 "Frauenheilkunde und Geburtshilfe" verbindlich festzuschreiben. Spätestens bei der nächsten Zuordnung von Leistungsgruppen muss die Erfüllung des gesamten Leistungsgruppen-Portfolios verbindlich vorgeschrieben werden – unabdingbar auch bei Dienstleistungen, die politisch oder weltanschaulich kontrovers sind.
Beschluss Nr. 4
Weiterbildung stärken – gesetzlich verankern, strukturell sichern
Der Marburger Bundes NRW/RLP blickt mit Sorge auf die Auswirkungen der nordrhein-westfälischen Krankenhausreform, des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) sowie des aktuell vorgelegten Krankenhausanpassungsgesetzes (KHAG) auf die Weiterbildung.
Strukturierte Weiterbildung ist ein zentraler Bestandteil medizinischer Qualitätssicherung und Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen. Sie erfordert Zeit, Engagement, finanzielle Förderung, und vor allem - klare gesetzliche Rahmenbedingungen. Vor diesem Hintergrund fordert der Marburger Bund in Ergänzung zur Stellungnahme des Marburger Bundes Bundesverbandes zum Referentenentwurf des KHAG (Fassung vom 30. Juli 2025) sowie den Beschlüssen des 129. Ärztetages:
- die Landesregierungen auf, bei der Zuteilung von Leistungsgruppen im Rahmen der Krankenhausreform jene Krankenhäuser zu bevorzugen, die sich an regionalen, standort- und sektorenübergreifenden Weiterbildungsverbünden beteiligen – insbesondere, wenn diese durch die jeweilige Landesärztekammer anerkannt sind.
- die Landesärztekammern auf, den Aufbau und die Zertifizierung regionaler, standort- und sektorenübergreifender Weiterbildungsverbünde aktiv zu unterstützen. Hierzu können digitale Vernetzungsportale eingerichtet werden.
- die Kliniken auf, verpflichtend Weiterbildung anzubieten und sich in o.g. Weiterbildungsverbünde einzubringen.
- die Bundesregierung auf, die Weiterbildung bei der Personalbemessung zu berücksichtigen, z.B. durch Anwendung des ärztlichen Personalbemessungssystems der Bundesärztekammer (ÄPS-BÄK), wie im KHVVG vorgesehen.
- den Gesetzgeber auf, bestehende rechtliche Hürden für flexible Weiterbildungsmodelle abzubauen, etwa durch Anpassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.
- den Gesetzgeber auf zur fristgerechten und konsequenten, sachgerechten Finanzierung der Mehrkosten, die mit der ärztlichen Weiterbildung verbunden sind.
- die inhaltliche Gestaltungshoheit über die ärztliche Weiterbildung muss uneingeschränkt bei den Landesärztekammern verbleiben. Eine externe Finanzierung darf nicht zu einer politischen oder wirtschaftlichen Einflussnahme auf die Inhalte führen.
Beschluss Nr. 5
Ablehnung des Konzepts eines „Grundfacharztes“ und Verteidigung der Weiterbildungsordnung als Grundlage ärztlicher Qualitätssicherung
- Der Marburger Bund lehnt das vom Hartmannbund vorgeschlagene Modell eines „Grundfacharztes“ entschieden ab.
- Dieses Konzept würde die gewachsene Struktur der Facharztweiterbildung aushöhlen und zu einer Absenkung von Qualitätsstandards in der Patientenversorgung führen.
- Ärztliche Weiterbildung dient nicht in erster Linie der kurzfristigen Bekämpfung von Versorgungsengpässen, sondern der Sicherung einer qualitativ hochwertigen und verlässlichen Patientenversorgung auf Facharztniveau.
- Eine grundlegende Aufspaltung in „Grundfacharzt“ und „Vollfacharzt“ würde die ärztliche Profession spalten und das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Qualifikation der Ärzteschaft gefährden.
- Der Marburger Bund spricht sich für eine stetige Weiterentwicklung und Modernisierung der bestehenden Weiterbildungsordnung aus, insbesondere mit Blick auf:
- Vereinbarkeit von Weiterbildung und Familie (Teilzeit, Elternzeit, flexible Formate),
- Abbildung neuer Versorgungsrealitäten zwischen stationärem und ambulantem Bereich,
- Verlässliche Finanzierung, die Weiterbildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreift.
Beschluss Nr. 6
Tarifvertragskonforme Arbeitszeiterfassung gewährleisten
Die Arbeitgeber der Ärztinnen und Ärzte der Universitätsklinika auch in Nordrhein-Westfalen werden aufgefordert, für jeden einzelnen unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Beschäftigten sicherzustellen, dass eine tarifvertragskonforme Arbeitszeiterfassung gem. § 10 Abs. 2 TV-Ärzte stattfindet. Damit verbunden wird die Erwartungshaltung, dass durch die tarifvertragskonforme Methodik der Arbeitszeiterfassung die Reduzierung der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 42 Stunden auf 40 Stunden ab dem 1. Januar 2026 unterstützt und für die Ärztinnen und Ärzte in manipulationssicherer Weise elektronisch erfasst wird.
Beschluss Nr. 7
Irreguläre Wettbewerbsvorteile für konfessionelle Krankenhäuser beenden
Der Marburger Bund NRW/RLP fordert den Bundesgesetzgeber auf, bei der anstehenden Umgestaltung der Krankenhausfinanzierung, irreguläre Wettbewerbsvorteile für konfessionelle Krankenhäuser durch ein entsprechendes Malussystem zu beenden. Konfessionelle Krankenhäuser sind gegenwärtig von der gleichberechtigten, ausgewogenen Gestaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter ausgenommen und definieren diese ohne eine qualifizierte Gewerkschaftsbeteiligung auf dem sogenannten "Dritten Weg".
Das ermöglicht Ihnen, die tarifvertraglich ausgehandelten Arbeitsbedingungen und -kosten gegenüber den mit Ihnen konkurrierenden Kliniken zu unterbieten, obwohl sie formal einen Anspruch auf den Ausgleich der tariflich fixierten Personalkosten haben.
Solange der tarifvertragsfreie „Dritte Weg“ nicht abgeschafft ist, bedarf es einer nachhaltigen wirtschaftlichen Malusregelung hinsichtlich der Klinikbudgets von konfessionellen Krankenhäusern, die gleichzeitig so auszugestalten ist, dass sich auch ein spürbarer wirtschaftlicher Anreiz für diese Arbeitgeber ergibt, sich der säkularen Ausgestaltung des Arbeitsrechtes ohne „Wenn und Aber“ zu öffnen.
Beschluss Nr. 8
Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen sichern
Der Marburger Bund NRW/RLP fordert die Landesregierungen und die Ärztekammern zu einer engmaschigen und qualifizierten Kontrolle der Umsetzung der maßgeblichen Rechtsvorschriften des Krankenhaus- und Berufsrechts auf, damit Ärztinnen und Ärzte in allen fachlichen Entscheidungen unabhängig und frei von unzulässiger ökonomischer oder ideologischer Einflussnahme handeln können. An diese Vorgaben haben sich die Krankenhausträger zu halten.
Insbesondere Weisungsbefugnisse, Anreizsysteme und vertragliche Regelungen sind nur insoweit hinnehmbar, als die entsprechenden Vorgaben des Landeskrankenhausrechts entsprechen, und die in den Berufsordnungen festgelegte ärztliche Entscheidungsfreiheit dauerhaft gewährleistet bleibt.
Ärztliche Entscheidungen sind originäre ärztliche Aufgaben und erfordern Fachwissen, ethisches Verständnis und die Orientierung am Wohl der Patientinnen und Patienten. Dieses Prinzip wird zunehmend durch wirtschaftliche Vorgaben und ideologische Einflussnahmen gefährdet.
Bereits heute besteht ein durch das Landeskrankenhausrecht und die ärztlichen Berufsordnungen klarer rechtlicher Rahmen:
- Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht weisungsgebunden sein und ihre medizinischen Entscheidungen nicht durch vertragliche Anreize beeinflusst werden,
- Ärztinnen und Ärzte im Beschäftigungsverhältnis dürfen in ihrer medizinischen Unabhängigkeit nicht durch Vergütungsregelungen oder -anreize beeinflusst werden,
- Das Verbot unzulässiger Zuwendungen stellt sicher, dass Entscheidungsalternativen allein aus rein medizinischen Gründen gewählt werden können.
Trotz dieser klaren Normen zeigen sich in der Praxis immer wieder Versuche, ärztliche Entscheidungen zu beeinflussen. Das gefährdet nicht nur die Therapiefreiheit, sondern auch das Vertrauen von Patientinnen und Patienten in eine ausschließlich medizinisch begründete Versorgung.