Herr Dr. Emami, die Podiumsdiskussion und die Veröffentlichung der Umfrageergebnisse liegen nun ein paar Tage zurück. Wie bewerten Sie die Reaktionen auf diesen Vorstoß des Marburger Bundes Hamburg?
Es hat uns im Landesverband in unserer Wahrnehmung bestätigt, dass das tatsächlich ein Problem ist. Im Nachgang haben wir – und ich persönlich – immer wieder die Rückmeldung bekommen: Endlich packt jemand das Thema an! Gleichzeitig hieß es oft, es gebe noch viel zu berichten und zu verändern. Die Resonanz zeigt, dass wir mit diesem Thema ganz offensichtlich einen Nerv getroffen haben.
Viele Ärztinnen und Ärzte berichten von sexistischen, rassistischen oder homophoben Kommentaren im Klinikalltag. Welche Handlungsmöglichkeiten haben Betroffene?
Wenn es um Dinge geht, die arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, können sich Betroffene zunächst an die Mitarbeitervertretung wenden – also an Betriebsräte oder Personalräte. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, sich direkt mit uns als Gewerkschaft und Berufsverband in Verbindung zu setzen, um juristische Beratung einzuholen und zu prüfen, wie man dagegen vorgehen, sich schützen oder Unterstützung erhalten kann.
Da Machtmissbrauch vor allem im Bereich der fachärztlichen Weiterbildung ein großes Thema ist, möchte ich auch nochmals dazu aufrufen, an den alle zwei Jahre stattfindenden Evaluationsumfragen der Kammer teilzunehmen. Nur durch diese Rückmeldungen kann die Kammer Missstände erkennen und dagegen vorgehen. Auch bei individuellen Problemen können sich Betroffene an die Weiterbildungsabteilung wenden und Bericht erstatten. Darüber hinaus gibt es in der Ärztekammer Hamburg die Ärztliche Anlaufstelle gegen Diskriminierung – und das schließt ausdrücklich jede Form der Diskriminierung ein.
Die Diskussion hat klar gezeigt: Ja, die Medizin hat ein Führungsproblem. Und Machtmissbrauch scheint in vielen Kliniken strukturell verankert zu sein. Doch Lösungsansätze blieben – so einige kritische Stimmen – eher vage…
Der Marburger Bund oder die Ärztekammer sind keine göttlichen Instanzen, die aus der Ferne Missstände wahrnehmen und korrigieren. Wir haben aber die Verpflichtung, einen sicheren Hafen anzubieten, um Beschwerden aufzunehmen und zu prüfen, auf welcher Grundlage ihnen nachgegangen werden kann. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es braucht immer auch die Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen und gegen Missstände anzutreten. Wenn beispielsweise eine Kollegin in der Frühbesprechung vom Chef beleidigt wird, ist es die Aufgabe der Anwesenden, einzugreifen und ihre Stimme zu erheben.
Immer wieder fiel in der Diskussion das Stichwort „Kulturwandel“. Doch was, wenn Führungskräfte nicht mitziehen und an traditionellen Strukturen festhalten?
Ein Kulturwandel kommt in der Regel aus der Basis heraus – manchmal unterstützt durch äußere Rahmenbedingungen. Wenn ein System so verkrustet ist, dass es sich nicht von selbst ändern kann, dann muss der Impuls von der Basis kommen. Wir brauchen keinen „Guru“ an der Spitze, der alles besser macht, sondern mehr Self-Empowerment an der Basis. Denn wer die komplette Macht besitzt, hat meist wenig Motivation, diese wieder abzugeben und sein Verhalten zu ändern. Ein machtzentrierter Chef wird zudem darauf achten, dass seinesgleichen Karriere macht. Ich glaube, dass die Diskussion, die wir in Hamburg angestoßen haben, die Bereitschaft an der Basis geweckt hat, etwas zu verändern. Und ich hoffe, dass wir deutlich gemacht haben, dass wir als Marburger Bund Hamburg auch willens sind, uns mit den Mächtigen anzulegen, wenn es darauf ankommt.
Gleichzeitig versuchen wir in der Ärztekammer, beispielsweise mit unserem Führungskräftetraining, Führungspersonen für eine gesunde, vielfältige und zukunftsfähige Arbeitskultur zu sensibilisieren. Wir können Impulse setzen – die Umsetzung liegt aber bei den Beteiligten selbst.
Kennen Sie Kliniken in Hamburg oder anderswo, die schon heute erfolgreich andere Wege gehen?
Leider ist es oft so, dass sich einige Kliniken nach außen ein modernes Image geben, während intern dieselben maroden Methoden mit Ausbeutung, Erniedrigung und Machtmissbrauch weiterbestehen. Im internationalen Vergleich fällt auf, dass Innovation und Veränderungsbereitschaft außerhalb des deutschsprachigen Raums deutlich stärker im Vordergrund stehen. Ausbildung und Weiterbildung werden dort als zentrale Aufgabe – als Gestaltung der Zukunft – verstanden, nicht als Alltagslast.
Der Marburger Bund Hamburg hat das Thema nun stark in die Öffentlichkeit getragen. Was sind für Sie die nächsten Schritte, damit der Impuls nicht verpufft?
Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Ich glaube, der Marburger Bund Hamburg hat hier eine Leuchtturmfunktion übernommen. Ich würde mich freuen, wenn andere Landesverbände und auch der Bundesverband auf diesen Zug aufspringen und erkennen, wie sehr dieses Thema viele Mitglieder bewegt. Viel zu lange hat man sich vor dieser innerärztlichen, konfrontativen Diskussion gedrückt. Die Entwicklung in Hamburg zeigt, dass wir eine zukunftsgerichtete Bewegung innerhalb des Kollegiums angestoßen haben – und diese gilt es jetzt voranzutreiben.
Herr Dr. Emami, vielen Dank für das Gepräch.
