"Ärztliches Engagement trifft in unseren Krankenhäusern regelhaft auf Systemerschöpfung. Die Bedingungen haben längst ihre Grenzen erreicht, wenn angestellte Ärztinnen und Ärzte jährlich 65 Millionen Überstunden leisten. Das ist strukturelles Versagen. Wenn ein Drittel der Ärzteschaft nur noch in Teilzeit arbeitet, ist auch das ein klares Alarmzeichen an die Politik“, unterstrich Dr. med. Susanne Johna.
In Österreich gibt es offensichtlich ganz ähnliche Probleme, berichtete Univ.-Prof. Andreas Valentin, MBA (Mitglied der Bioethikkommission beim österreichischen Bundeskanzleramt) als erster Gastredner der 146. MB-Hauptversammlung.
Univ.-Prof. Andreas Valentin: Großes Missverhältnis zwischen dem Bedarf und den Ressourcen.
„Wir haben ein großes Missverhältnis zwischen dem Bedarf und den Ressourcen. Die Risiken für die systemische Erschöpfung von Ärztinnen und Ärzten steigen mit der Ökonomisierung der Medizin. Ökonomisierung werde sichtbar seit Patienten als Kunden angesehen werden, Leistungsanbieter auf den Gesundheitsmarkt drängten, Mitarbeiter Humankapital darstellten, Gesundheit als Ware verstanden werde und Personal als belastender Kostenfaktor betrachtet werde.
Rationierungen etwa durch verstärktes Streben nach Effizienz und Wirtschaftlichkeit führe zur Rationierung und Priorisierung, unterstrich Univ.-Prof. Andreas Valentin. Medizin müsse vielmehr dem Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft dienen. „Reine Gewinnorientierung ist abzulehnen.“ Das Arzt-Patienten-Gespräch müsse höher dotiert und Prävention besser werden und deutlich gestärkt werden.
In der stationären Versorgung sei Ressourcenknappheit nicht nur bei dem Personal festzustellen, sondern längst auch bei medizinischen Produkten und Arzneien. „Wir benötigen klare medizinische Kriterien für Dringlichkeit, für Nutzenbewertungen, für Transparenz bei geringem Nutzen, bei Therapiealternativen und einen Verzicht auf unwirksame Maßnahmen.“ Ärztliches Engagement könne letztlich aber als Hebel oder zur Kompensation bei der Bewältigung des Ressourcenmangels eingesetzt werden.
Die systemische Erschöpfung der Ärztinnen und Ärzte habe viele Ursachen: „Neben dem Personalmangel, der Ökonomisierung, der Bürokratie und den hierarchischen Strukturen komme der moralischen Stress, nämlich genau zu wissen, was richtig wäre, die Umsetzung aber nicht möglich ist“, sagte Univ.-Prof. Andreas Valentin. Bei all diesen einzelnen Punkten gelte es bei der Suche nach Lösungen oder Verbesserungen anzusetzen.
Univ.-Prof. Andreas Valentin äußerte zum Schluss einen Wunsch als einen sicherlich schwierig umzusetzenden Auftrag: "Trotzdem müssen wir wieder Begeisterung für diesen tollen Beruf entwickeln."
Prof. Alena Buyx: Ergebnis der Medizin ist gemessen an vergleichsweise hohen Ausgaben nicht gut genug!
Manchmal sind Qualitäts-Urteile schnell gefällt: Nach Überzeugung der zweiten Gastreferentin Prof. Alena Buyx M.A. phil., FRSA (Mitglied des Expertenrates Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung) ist das Ergebnis der Medizin hierzulande gemessen an den vergleichsweise hohen Ausgaben für Gesundheit nicht gut genug. „Dies hat vielfältige Ursachen.“
Dazu zählt auch der Ärztemangel. Oft gehe mittlerweile ärztliche Arbeitskraft dadurch verloren, dass Ärztinnen und Ärzte nur noch in Teilzeit arbeiten. „Wer am stärksten unter der Arbeitsbelastung leidet, neigt naturgemäß auch am häufigsten zur Teilzeit“, meinte Prof. Alena Buyx. Teilzeit habe jedoch auch Vorteile, etwa, weil es so gelingen könne, vor allem Ärztinnen wieder in den Beruf zurückzuholen.
Prof. Alena Buyx beleuchtete ausgewählte Fehlentwicklungen. So gebe es Defizite in der Wahrung der Patientenautonomie. „Hier geraten wir gerade an Grenzen. Wir erleben echte Verletzungen der Patientenautonomie, weil es einfach Zeit benötigt, um Patienten auf zu klären.“ Weil aber die Zeit für Patienten fehle, komme es zu „Missverständnissen und Aufklärungsdefiziten“.
Es fehle Ärztinnen und Ärzten häufig auch die nötige Ruhe. Ärztinnen und Ärzte müssten im Klinikalltag zu oft „durchhetzen“. Patienten beklagten derweil grundsätzlich die Abnahme der sprechenden Medizin. „Sie erwarten aber die bestmögliche Medizin. Wir wollen in der ärztlichen Behandlung nichts kaputt machen. Wie wollen wir das aber erreichen? Wie sind unerwünschte Nebenwirkungen vermeidbar? Wenn Ärztinnen und Ärzte unter Schlafmangel leiden, Arbeit immer mehr verdichtet werde, Ärzte ausgebrannt sind, dann komme es naturgemäß auch häufiger zu Behandlungsfehlern.“ Prof. Alena Buyx sprach von 17.000 vermeidbaren Todesfällen in Deutschland.
Im deutschen Gesundheitswesen erkennt Prof. Alena Buyx Konflikte in der Verteilungsgerechtigkeit und eine Vermischung von ökonomischen und ärztlichen Zielen. „Wir haben perverse Anreize. Äußere ökonomische Faktoren führen zur Belastung des klinischen Systems. Das ist die größte Herausforderung, die wir zu schultern haben.“
Der Abbau von Bürokratie sei ein Lösungsweg. „Aber der Abbau der Bürokratie ist so schwer, weil jede einzelne Regel, durchaus ihren Sinn hat. Wir müssen aber einen maßvollen und klugen Umfang des Bürokratieabbaus hinkriegen. `Administrativer Bullshit` müsse reduziert werden. Des Weiteren benötigen wir wirklich kreative Arbeitszeitmodelle. Und Innovationen dürften nicht immer noch mehr Arbeit bedeuten, sondern müssten auch endlich mal ´etwas Arbeit wegnehmen´."
