WÄB: Sie sind bereits seit Ihrer Assistenzarztzeit in der Berufspolitik aktiv. Was hat Sie damals dazu bewogen, sich neben Ihrem Beruf ehrenamtlich zu engagieren?
Dr. Rudolf Kaiser: Im Wesentlichen waren es drei Erkenntnisse oder Erfahrungen, die mich veranlasst haben, mich berufspolitisch zu engagieren: desolate Arbeitsbedingungen, desolate Weiterbildung und die Gestaltung ärztlicher Berufsausübung.
Die arbeitsvertraglichen Regelungen waren mit den heutigen nicht zu vergleichen. Von einem Arbeitszeitgesetz hätten Krankenhausärzte nicht zu träumen gewagt. Unbezahlte Überstunden waren üblich und die Vergütung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften waren grottenschlecht.
Vieles — wenn auch noch nicht alles — hat sich inzwischen zum Besseren verändert. Früh habe ich mich im Marburger Bund engagiert und mit den Kolleginnen und Kollegen für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft. Berechtigte Interessen der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte wurden als „unärztlich“ abgetan, während anderen gesellschaftlichen Gruppen — inner- und außerhalb des Gesundheitswesens — diese Interessenvertretung selbstverständlich zugebilligt wurde. Wir müssen Acht geben, dass diese Doppelmoral sich heute nicht wiederholt — gegenüber der gesamten Ärzteschaft.
Auch das Wort „strukturierte“ Weiterbildung war ein Fremdwort; es ging eher um „survival of the fittest“. Weiterbildungsinhalte wurden in manchen Kliniken und Abteilungen als Disziplinar- oder auch Belohnungsinstrument eingesetzt. Weiterbildungscurriculum — ein Fremdwort.
Es hat sich viel verbessert, heute hat Weiterbildung einen sehr hohen Stellenwert. Denken Sie nur an die Evaluation der Weiterbildung 2016, hier ist unsere Kammer führend! Für mich war 1970 die Pflichtzeit als Medizinalassistent (MA) für die Approbation als Arzt noch vorgeschrieben. Damals gab es einen Flaschenhals im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe, sodass sich diese Zeit für viele MAs verlängerte. Nach einer Aktion, bei der MAs massenhaft Telegramme an die Landesregierung richteten, wurde dies geändert — Gyn war nicht mehr Pflicht. Ich bemerkte: Einigkeit macht stark. Und: Keine Flaschenhälse in Approbations- und Weiterbildungsordnung!
Und damit sind wir beim dritten Punkt: Tua res agitur. Es geht um unsere ärztliche Berufsausübung! Wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben im Vergleich zu anderen Ländern das große Privileg, diese Berufsausübung weitgehend selbst zu gestalten. Das zuständige Ministerium hat die Rechts-, jedoch nicht die Fachaufsicht.
Darüber hinaus betreiben wir mit der Ärztlichen Stelle nach Röntgenverordnung und der Abnahme der Fachsprachenprüfungen zusätzlich Auftragsverwaltung. Alles wichtige Bereiche mit unmittelbarer Auswirkung auf unser ärztliches Tun. Und letztlich: Wir arbeiten in der Ärztekammer für unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen! All dies waren und sind wesentliche Gründe für mein Engagement.
WÄB: Nach 32 Jahren haben Sie sich aus dem Vorstand der Ärztekammer verabschiedet. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Dr. Rudolf Kaiser: Nach insgesamt 37 Jahren als Vorstandsmitglied — fünf Jahre zuvor bei der Ärztekammer Nordrhein — stellte sich die Frage, wie es weitergehen soll. Der Staffelstab muss weitergegeben werden, damit auch jüngere Ärztinnen und Ärzte Führungspositionen übernehmen. Auf diese Weise können und sollen sie Einfluss und Erfahrung gewinnen. Bei diesem Prozess bringe ich meine berufspolitische Erfahrung ein und gebe sie weiter.
Die abnehmende Beteiligung bei den letzten Wahlen hat gezeigt, dass es zunehmend schwieriger wird, jüngere Ärztinnen und Ärzte für die Berufspolitik und die Institution Ärztekammer zu gewinnen. Unsere Kammer unternimmt vielfältige Anstrengungen, um diesen Trend zu stoppen und umzukehren. Der Arbeitskreis Junge Ärztinnen und Ärzte ist hier ein Beispiel, weiterhin die Begrüßungsabende in den Verwaltungsbezirken, berufspolitische Seminare und nicht zuletzt auch die Fortbildungsangebote von Kammer und KV für die PJler auf Borkum.
WÄB: Wenn Sie auf Ihre langjährige Vorstandstätigkeit zurückblicken: Was zählen Sie zu den bedeutendsten Ergebnissen, die der Vorstand mit seiner Arbeit in dieser Zeit erreicht hat?
Dr. Rudolf Kaiser: Vor vielen Jahren konnten rüde staatsanwaltschaftliche Methoden gegenüber niedergelassenen Ärzten abgewehrt werden, die wegen des Vorwurfs betrügerischer Abrechnungen überfallartig verhaftet wurden. Durch Einschaltung eines juristischen Gutachtens konnte der Vorstand erreichen, dass dies eingestellt und die Verhältnismäßigkeit der Mittel wieder gewahrt wurde.
Außerdem zählt für mich die Einrichtung der Ärztlichen Stelle nach Röntgenverordnung durch den Vertrag mit der Landesregierung zu den bedeutenden Ereignissen. An diesen Verhandlungen war ich als das für den Bereich Radiologie und Strahlenschutz zuständige Vorstandsmitglied beteiligt. Wie bereits erwähnt, hat diese Stelle für die große Zahl von Ärztinnen und Ärzten, die mit ionisierenden Strahlen umgehen, eine erhebliche Bedeutung.
Ebenso gehört dazu die Durchführung der Fachsprachenprüfungen durch die ÄKWL seit 2014. Beides sind keine genuinen Aufgaben der Kammer nach Heilberufsgesetz, sondern Auftragsverwaltung für das Land NRW. Sie unterstreichen die Kompetenz unserer Kammer. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Zertifizierungen der Brust- und Perinatalzentren.
Außerdem ist die führende Rolle der Kammer aufgrund der Weiterbildungsevaluation 2016 nicht hoch genug einzuschätzen, da sie den Kernbereich ärztlicher Tätigkeit, die Qualitätssicherung, berührt. Zu nennen sind zudem die vom Ethikrat erarbeiteten und vom Vorstand 2016 verabschiedeten „Ethischen Grundsätze ärztlichen Handelns“.
WÄB: Dr. Kaiser, vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute für die Zukunft!