Schmerzen medikamentös lindern ist (immer) möglich!
LINDERUNG DES LEIDENS UND UNTERSTÜTZUNG DES PATIENTEN
Den etwas älteren Lesern ist diese Aussage vertraut: „Morphium?! So weit ist es bei mir noch nicht!“ Aber auch heute höre ich es ähnlich immer noch regelmäßig von Patienten oder deren Angehörigen. Als ich vor Jahren im Deutschen Ärzteblatt zitiert wurde, dass wir bei Palliativpatienten Leiden immer lindern können, bin ich dafür vereinzelt hart kritisiert worden. Aber ich stehe noch zu dieser etwas plakativen Behauptung. Ich bin selbst auch Algesiologe. Wer sich intensiver mit spezieller Schmerztherapie beschäftigt, weiß, dass wir bei vielen Beschwerden mit unseren medikamentösen Optionen bei „gutartigen“ Schmerzen schnell an Grenzen kommen.
Die oft segensreiche Wirkung durch NSAR, Opioide, Koanalgetika und Co. ist dabei nicht selten unzureichend, zum Beispiel bei neuropathischen Schmerzen, lower back pain, Fibromyalgie und vielem mehr.
Total Pain
Die Linderung des Leidens und die Unterstützung des Patienten stand auch früher schon im Zentrum der Aufgaben des Arztes, wie ein französisches Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert zusammenfasst: „Guérir quelquefois, soulager souvent, consoler toujours.“ („Heilen manchmal, lindern oft, trösten immer“). Schmerzen erfassen und umfassen immer den gesamten Menschen mit Leib und Seele. Neben der rein somatischen Komponente gibt es eine Vielzahl von Einflüssen, die Schmerzen modulieren können.
Nach dem Total-Pain-Konzept müssen auch die soziale, psychische und spirituelle Dimension berücksichtigt werden. Selbst wenn gerade diese Ansätze in der Palliativversorgung eine herausragend wichtige Rolle spielen und wirklich immer angemessen berücksichtigt werden müssen, soll dieser Beitrag aber auf die medikamentösen Möglichkeiten begrenzt werden und dies geschieht auch nur mit einigen knappen Impulsen. Sonst würde es den hier möglichen Rahmen sprengen. Ich möchte Ihnen gerne „Appetit“ machen, denn jeder Arzt kann sehr viel dafür tun, damit es Menschen am Lebensende viel besser geht (siehe Abbildung "Total-Pain-Konzept").
WHO-Stufenschema als Grundlage
Die (medikamentöse) Schmerztherapie bei palliativen Patienten ist glücklicherweise deutlich besser effektiv umsetzbar als bei Patienten mit chronischen gutartigen Schmerzen. Allgemein bekannt ist das Stufenschema der WHO. Vom Stufenschema kann und sollte in der Praxis aber auch abgewichen werden, wenn ein Palliativpatient mit starken Schmerzen eingestellt werden muss. Je nach Diagnose ist meist klar, dass ohnehin im Krankheitsverlauf stark wirksame Opioide notwendig sind.
Leider wird eine effektive Linderung bei Palliativpatienten oft spät, zu spät nachgefragt. Deshalb sollte dann Ihr Behandlungsansatz umso mehr dar auf abzielen, schnell und effektiv zu helfen.
Übrigens: Die Opiate leiten sich vom natürlichen Schlafmohnalkaloiden ab und Opioide als Oberbegriff schließen auch die synthetischen Stoffe mit ein (siehe Abbildung: "Medikamente. Das WHO-Stufenschema - einmal anders dargestellt").
Schmerz messen und dokumentieren!
Leider wird im ärztlichen Alltag zu oft dar auf verzichtet, den Therapieverlauf und dessen Wirkung valide zu dokumentieren. Dies ist gerade bei Schmerzen leicht möglich und eine gute Verlaufsdokumentation erleichtert die Dosisfindung. Bei Patienten, die gut kommunikationsfähig sind, gelingt dies sehr gut und leicht nachvollziehbar mit der Numerischen RatingSkala (NRS). Bei bewusstseinsgestörten oder sehr jungen Patienten entweder mit einer visuellen Analogskala oder zum Beispiel der BeSDSkala oder ähnlichen Instrumenten. Bei der Fremdeinschätzung von Schmerzen ist zu beachten, dass diese die Schmerzen eher unterschätzen!
Dies gilt übrigens auch für alle anderen belastenden Symptome (siehe Abbildung "Visuelle Analogskala (VAS) und Numerische Rating-Skala (NRS)").
Dosistitration
Zunächst ist eine Ersteinstellung erforderlich. Ist der Schmerz stark und noch halbwegs erträglich, kann diese über einige Tage mit retardierten Opioiden erfolgen. Dabei sollte aber mindestens täglich die Dosis neu angepasst werden.
Oft ist eine schnelle Linderung gewünscht, die mit schnell wirksamen Opioiden (rapid onset Opioiden, ROO) erfolgreich umgesetzt werden kann. Entweder intravenös oder vergleichbar schnell transnasal kann binnen weniger Minuten bis zu einer halben Stunde fast immer eine befriedigende Linderung bei onkologischen Patienten erreicht werden, wenn bei der Ersteinstellung titrierend vorgegangen wird. Dazu muss ausreichend oft nachdosiert werden, damit die Wirkung der Einzelgaben kumuliert.
Eine mögliche Atemdepression muss beachtet werden, ist aber unwahrscheinlich, wenn Sie ein LockoutIntervall von 5 bis 10 Minuten bei intravenöser oder nasaler und von 30 bis 60 Minuten bei subkutaner oder oraler Gabe einhalten. Die Dosis kann symptomorientiert wiederholt werden bis zur gewünschten Linderung.
Erhaltungstherapie
Nach Ersttitration kann die Erhaltungsdosis pro Tag hochgerechnet werden. Ob hierfür dann orale, retardierte Opioide oder transdermale Systeme angewendet werden, bleibt der Vorliebe des Patienten und auch der Situation überlassen. Beide sind gleichwertig. Opioide als MatrixPflaster dürfen eigentlich nicht geteilt werden, man kann sie aber offlabel gefahrlos teilen.
Bitte denken Sie immer auch über andere Methoden der Schmerztherapie nach. Lokalanästhesien, Sympathikusblockaden und vieles mehr ist teils Spezialisten vorbehalten, teils aber auch mit einfachen Bordmitteln des Hausarztes möglich. Palliativversorgung ist eine Teamarbeit, bei der man sich nicht scheuen sollte, Kollegen um Rat und Hilfe zu fragen.
Durchbruchschmerzen
Natürlich muss bei Durchbruchschmerzen zunächst immer überlegt werden, ob es eine behandelbare Ursache gibt. Spontanfrakturen, Entzündungen, eine Überlaufblase könnten man auch nur mit Analgetika behandeln. Aber es gäbe je nach Situation vielleicht bessere, kausale Therapien.
Durchbruchschmerzen werden mit schnellwirksamen Opioiden (Rapid Onset Opioid, ROO) behandelt. In der Regel beträgt die empfohlene Dosis die Menge von vier bis sechs Stunden der Retardtherapie. Bei heftigsten Schmerzen wirkt orales Morphin eher quälend langsam, dann wäre es intravenös z. B. mit einer PCAPumpe besser. Oft ist die intranasale Gabe von Fentanyl einfacher verfügbar und in der Wirkung überlegen, die schon nach zwei Minuten – ausreichend hoch dosiert – eine Linderung zeigen kann.
Liebe Kollegen: Bitte denken Sie daran, die Aussage „Wir können nichts mehr für den Patienten tun“, ist immer falsch!
- Neben den üblichen Opioiden ist das Razemat D,L-Methadon deutlich besser gegen neuropathische Schmerzen wirksam. Die Einstellung sollte gemeinsam mit erfahrenen Kollegen vorgenommen werden. Methadon ist als Tropfen oder Tablette verfügbar und sehr lange wirksam.
- Reservoirpflaster dürfen NIEMALS geteilt werden! Sie würden auslaufen, was zu tödlichen Zwischenfällen führt.