• „Es muss dringend ein Umdenken stattfinden“

    Interview mit Dr. Clara Braun, Ärztin in Weiterbildung zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Weiterbildung
    17.März 2024
    Dr. Clara Braun
    Dr. Clara Braun

    Welche Herausforderungen siehst du als Krankenhausärztin in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und ärztlicher Weiterbildung?

    Braun: Eine bedeutende Herausforderung besteht zweifellos darin, dass die aktuelle Form der ärztlichen Weiterbildung oft nicht mit dem Familienleben vereinbar ist. Einige Ärztinnen und Ärzte beginnen ihre Weiterbildung erst später, sei es aufgrund von Wartezeiten oder vorherigen Ausbildungen. Zu diesem Zeitpunkt haben sie häufig bereits familiäre Verpflichtungen, denen sie nachkommen müssen. Allerdings sind diese oft nur schwer mit den starren Rotations- oder Operationsplänen in den Kliniken zu vereinbaren. Insbesondere bei Letzteren kann es für Teilzeit-Ärztinnen schwierig sein, da Operationen häufig erst am Nachmittag beginnen, was es ihnen unmöglich macht, daran teilzunehmen, es sei denn, sie organisieren eine Kinderbetreuung. Dadurch können viele die geforderten OP-Zahlen in der vorgegeben Zeit nicht erreichen. Das macht es für Ärztinnen und Ärzte mit Familie ungleich schwieriger auf die geforderten Weiterbildungsinhalte zu kommen. Und im Grunde wird von ihnen erwartet, dass sie selbst Lösungen finden, um Familie und Weiterbildung in Einklang zu bringen, anstatt das System anzupassen. Eine weitere Herausforderung für junge Ärztinnen ist es, während der Weiterbildung schwanger zu sein oder schwanger zu werden. Viele werden schnell in ein Beschäftigungsverbot geschickt, obwohl sie gerne weiterarbeiten möchten und könnten. Einige entscheiden sich sogar freiwillig für ein Beschäftigungsverbot aus Angst vor potenziellen Konsequenzen und der Unsicherheit darüber, ob die Mutterschutzbestimmungen überwacht werden und welche Unterstützung ihnen zur Verfügung steht. Es herrscht oft noch erhebliche Unsicherheit und Unwissenheit darüber, wie mit diesen Situationen angemessen umzugehen ist. Daher ist hier Unterstützung, gerade auch von Chefärztinnen und -ärzten gefragt. Allerdings sehe ich die größte Hürde beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Weiterbildung in den in den Einstellungen und Vorstellungen.

    Welche Veränderungen oder Verbesserungen wünschst du dir?

    Braun: Ich wünsche mir in erster Linie eine Veränderung im Denken. Das Thema Vereinbarkeit mit der Familie muss direkt in die Diskussion über Weiterbildung einfließen und angemessen berücksichtigt werden. Noch liegt die Verantwortung dafür bei jedem einzelnen Arzt oder jeder Ärztin in Weiterbildung. Mit dem Resultat, dass viele ihre familiäre Verpflichtung oder sogar die Familienplanung der Weiterbildung unterordnen. Die gegenwärtige Form der Weiterbildung erfordert eine maximale zeitliche Flexibilität von uns, die schwer oder gar nicht zu realisieren ist, weil die Lebens- und Arbeitsrealität mit diesem starren System kaum vereinbar ist. Diese Last der Vereinbarkeit kann nicht länger auf den Schultern der Weiterbildungsassistenten und -assistentinnen liegen; ein Umdenken muss dringend erfolgen. Denn wir beobachten, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen in den ambulanten Sektor abwandern, weil dort die Arbeitsbedingungen für sie günstiger sind. Das wird den ohnehin schon akuten Personalmangel in den Kliniken noch weiter verschärfen. Jedoch habe ich den Eindruck, dass dieses Problem in vielen Kliniken noch nicht angekommen zu sein scheint.

    Was könnten Verantwortliche in den Krankenhäusern tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Weiterbildung zu fördern?

    Braun: Zunächst muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass dieses Thema am Ende nicht nur diejenigen betrifft, die sich gerade in der Weiterbildung befinden, sondern alle. Eine nachhaltige Gesundheitsversorgung der Zukunft erfordert dringend gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte. Daher ist es unerlässlich, sicherzustellen, dass die Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung so gestaltet sind, dass sie eine qualitativ hochwertige Weiterbildung ermöglichen. Allerdings fehlt vielen Krankenhäusern die nötige Flexibilität andere Arbeitszeit- oder Rotationsmodelle anzubieten. Eine mögliche Maßnahme könnte eine Änderung in der Weiterbildungsordnung sein, dass beispielsweise eine 35-Stunden-Woche als Vollzeit-Arbeit anerkannt wird, wie das ja bereits im ambulanten Sektor der Fall ist. Allerdings gibt es auch Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden könnten und die die Weiterbildung erleichtern würden. Ein erster Schritt könnte beispielsweise die Bereitstellung von Kinderbetreuung während Fortbildungen sein, die an Wochenenden stattfinden. Auf diese Weise könnten vielen Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung schnell und unbürokratisch geholfen werden.

    Du bist seit letztem Jahr Mitglied im Ausschuss Junge Kammer der Saarländischen Ärztekammer. Wofür setzt sich diese ein und was wurde bisher erreicht?

    Braun: Der Ausschuss Junge Kammer ist das Gremium, in dem die Anliegen und Themen der jungen Generation von Ärztinnen und Ärzten diskutiert werden. Es steht jedem offen, sich auch ohne Wahlberechtigung zu beteiligen. Eine wesentliche Aufgabe dieses Ausschusses besteht darin, die junge Ärzteschaft über die Funktionen der Ärztekammer zu informieren und sie über ihre Aufgaben aufzuklären. Darüber hinaus sind bereits konkrete Maßnahmen aus diesem Ausschuss hervorgegangen, auf die wir stolz sind. Ein Beispiel hierfür ist die Anerkennung der sechs Wochen Mutterschutz als Weiterbildungszeit. Wir konnten auch erfolgreich durchsetzen, dass die Weiterbildung in einem Umfang von weniger als 50 Prozent absolviert werden kann und es möglich ist, sich Zeiten aus der Elternzeit anrechnen zu lassen. Diese Regelung gab es zuvor nicht und stellt einen echten Meilenstein dar, den wir erreicht haben. Und wir sind stolz, dass wir als junge Ärzteschaft tatsächlich etwas bewegen konnten und auch können. Letztendlich ist dies unser Ziel und dafür setzen wir uns ein. Für alle, die sich für die Arbeit der Ärztekammer interessieren, kann dieser Ausschuss ein guter Einstieg sein, Einblicke zu bekommen und auch selbst aktiv mitzugestalten.

    Warum ist es deiner Meinung nach wichtig zu wählen?

    Braun: Viele junge Ärztinnen und Ärzte wissen eigentlich gar nicht, was die Ärztekammer tut und wofür sie eigentlich da ist. Das traf auch auf mich zu, als ich anfing. Dabei ist die Ärztekammer genau die Institution, in der wir Ärztinnen und Ärzte unsere eigenen Interessen direkt vertreten können. Hier wird die Diskussion über die ärztliche Weiterbildung geführt und ihre Umsetzung vorangetrieben. Als ich das erkannte, war ich sofort dabei. Denn hier haben wir die Möglichkeit, uns einzubringen, unsere Ideen vorzustellen und aktiv an unserer Zukunft mitzuwirken. Junge Ärztinnen und Ärzte sollten sich bewusst machen, dass sie mit ihrer Wählerstimme auch im übertragenen Sinne eine Stimme haben, mit der sie die eigene berufliche Zukunft mitgestalten können. Wir als Delegierte sind sehr dicht an der Gestaltung dieser Zukunft und haben sie stets im Blick. Wir sehen die Realität der Arbeit jeden Tag, kennen die Missstände und wissen, dass wir starke Stimmen brauchen, um Veränderungen herbeizuführen und Verbesserungen zu erreichen. Daher kann ich nur jedem/jeder empfehlen: Nutzt euer Stimmrecht und geht wählen. Ihr stimmt damit für Eure Zukunft.