• „Die soziale Komponente des Gesundheitswesens droht verloren zu gehen“

    Kammerwahl 2022
    12.August 2022
    Hamburg
    Im Oktober haben rund 18.000 Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit, das Hamburger Ärzteparlament neu zu wählen. Die Liste Marburger Bund will sich auch in Zukunft für ein Gesundheitswesen stark machen, bei dem der Mensch zählt. Im Interview sprechen Dr. Pedram Emami und Dr. Kathrin Schawjinski über aktuelle Herausforderungen und mögliche Lösungen.
    Dr. Pedram Emami und Dr. Kathrin Schawjinski
    Dr. Pedram Emami und Dr. Kathrin Schawjinski

    Herr Dr. Emami, warum steigt der wirtschaftliche Druck auf Ärztinnen und Ärzte zunehmend? Was ist in den letzten Jahren schiefgelaufen?

    PE: Wir erleben einen fortschreitenden Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Das Konzept der Konkurrenz oder der Zugriffsmöglichkeiten von Unternehmen und Kapitalgebern, die nicht aus dem Gesundheitssektor kommen, hat Einzug gefunden. Davor war das Gesundheitswesen, auch wenn es kein Zukunftsmodell war, immerhin klar auf die Patientenversorgung ausgerichtet.

    Dass Unternehmen Gewinne erzielen wollen, ist nicht verwerflich. Doch in einem System, in dem es faktisch keine Preisbildung gibt und das dazu gedacht ist, Menschen medizinisch zu versorgen, ist das äußerst problematisch. Denn um wirtschaftliche Interessen zu befriedigen, werden dann zwangsläufig Einschnitte in der Versorgung in Kauf genommen. Die soziale Komponente des Gesundheitswesens droht gerade vollständig verloren zu gehen.

    Frau Dr. Schawjinski, wie wirkt sich diese Entwicklung denn auf die Ausübung Ihrer Berufstätigkeit aus?

    KS: Es wird an allen Ecken und Enden im Gesundheitswesen versucht, Gewinne zu maximieren und Kosten zu senken. Und das geht vor allem auch über die Personalkosten. Teilweise finden aufgrund des Personalmangels weniger OPs statt, wir halten weniger Intensivkapazitäten vor oder wir werden dazu angehalten, Liegezeiten oder Überleitzeiten bei OPs zu verkürzen. Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung haben oft gar nicht mehr die Zeit, strukturiert und fundiert zu lernen. Und wir sind zunehmend in einem Interessenkonflikt: Wir wollen medizinisch korrekt handeln, sollen aber gleichzeitig geschäftsmäßig vorgehen. Das funktioniert nicht.

    Der MB möchte das DRG-System am liebsten abschaffen. Was für Lösungsansätze haben Sie?

    PE: Wir müssen dahinkommen, dass z.B. auch Zeiten für Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Raum für medizinische Innovationen einkalkuliert werden. Die Vergütung über die DRGs sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Die Ausgaben der Krankenhäuser z.B. für die Weiterentwicklung der Räumlichkeiten sollten eigentlich über die Länder finanziert werden – faktisch passiert das aber nicht. Das führt dazu, dass die Krankenhäuser dazu gezwungen sind, einen Teil ihrer Einnahmen selbst zu reinvestieren – oder zugrunde zu gehen. So kann man doch nicht die Bevölkerung medizinisch versorgen!

    Perspektivisch müssen wir zu einem transparenten Kalkulationsmodell kommen, das flexibel und anpassungsfähig ist und mehr Faktoren berücksichtig, als es bei den DRGs der Fall ist. Damit hätten wir auch die Möglichkeit, die Sektorengrenzen zu überwinden und die erbrachten Leistungen zu berechnen. Und so könnte man auch wirklich einschätzen, was uns das Gesundheitssystem tatsächlich kostet.

    In Gesprächen mit der Gesundheitssenatorin oder dem Bürgermeister mache ich immer wieder auf diese Problematik aufmerksam, damit hierfür ein stärkeres Bewusstsein entsteht. Damit die Politik hier endlich handelt, müssen wir jedoch gemeinschaftlich und auf mehreren Ebenen daran arbeiten.

    Auch im ambulanten Bereich sehen wir, dass immer mehr Kapitalgesellschaften – wenn auch indirekt – in Medizinische Versorgungszentren einsteigen. Wie kann man hier gegensteuern?

    PE: Dafür brauchen wir u.a. Reglementierungsmöglichkeiten, damit beispielsweise ein MVZ nicht von jedem beliebigen Kapitalgeber betrieben werden kann. Die Trägerschaft soll in der Ärzteschaft bleiben, die auch die medizinische Verantwortung trägt. Für die Übergangszeit benötigen wir Transparenz über Investoren, Betreiber und eventuelle Verwicklungen. Patientinnen und Patienten müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben.

    Frau Dr. Schawjinski, wie will sich der MB für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben einsetzen?

    KS: Wir brauchen flexible Arbeitszeiten, damit Ärztinnen und Ärzte – gerade auch als Mütter und Väter – gut ihre Weiterbildung machen können und in ihrem Beruf langfristig arbeiten möchten. Oft liegt der Fokus auf den ersten beiden Jahren der Elternzeit, doch damit ist es ja nicht getan. Job-Sharing Modelle, wie es sie in der ambulanten Versorgung schon häufiger gibt, sollten auch in Kliniken selbstverständlicher werden.

    Der MB setzt sich als Gewerkschaft schon lange für bessere Arbeitsbedingungen ein und hat mit der Begrenzung der Arbeitszeiten, der Reduktion der Bereitschaftsdienste oder mehr Urlaubstagen schon einiges erreicht. Darüber hinaus bringen wir als MB das Thema der Work-Life-Balance auf politischer Ebene ein, wirken durch Betriebsräte in den Einrichtungen und unterstützen durch die MB-Geschäftsstelle Ärztinnen und Ärzte bei konkreten Anliegen. So sind wir in den letzten Jahren ein gutes Stück weitergekommen – aber es gibt noch viel zu tun!