• „Wir brauchen mehr – nicht weniger – Demokratie“

    Interview mit Dr. Pedram Emami
    24.Juli 2025
    Hamburg
    Dr. Pedram Emami spricht über gesundheitspolitische Herausforderungen, gewerkschaftliche Arbeit und die Bedeutung demokratischen Engagements.
    Dr. Pedram Emami im Interview
    Dr. Pedram Emami im Interview

    Die neuen Regierungskoalitionen haben ihre Arbeit aufgenommen – sowohl auf Bundesebene als auch hier in Hamburg. Blicken wir zunächst auf die Bundesregierung: Was stimmt Sie zuversichtlich, worüber machen Sie sich Sorgen und welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung?

    Meine Hoffnung ist, dass sich die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und den verschiedenen Akteuren sowie den Selbstverwaltungsorganen anders gestalten wird, als das unter dem Vorgänger von Frau Warken der Fall war. Das war doch häufig sehr einseitig – ein echter Dialog hat gefehlt.

    Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass sich der Trend weg von einem sozial denkenden Staat auch im Gesundheitswesen bemerkbar macht. Bei allen Notwendigkeiten in Bezug auf eine Restrukturierung und Reformierung des Gesundheitswesens ist es mir wichtig, dass wir eines nicht aus dem Blick verlieren: Gesundheit ist ein Menschenrecht. In einem der reichsten Länder der Welt sollten wir uns nicht zu schade sein, eine Gesundheitsversorgung zu organisieren, die auf einem hohen Niveau weitestmöglich den Bedarf, vielleicht in weiten Teilen aber auch den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Natürlich wird man über die Frage der Finanzierung einen Diskurs führen müssen. Aber am Grundsatz, dass der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen, wohnortnahen medizinischen Versorgung für alle gewährleistet sein muss, möchte ich festhalten.

    Bevor jedoch alle ihre Forderungen, Wünsche und Vorstellungen an die neue Ministerin herantragen, wünsche ich ihr zunächst den nötigen Raum und die Zeit, um sich ein genaues Bild von ihrem neuen Umfeld zu machen und sich in Ruhe zu orientieren.

    Die neue Bundesgesundheitsministerin möchte die Krankenhausreform anpassen. Was halten Sie davon?

    Problematisch erscheint mir, dass sich sowohl die Vorhaltefinanzierung als auch die Leistungsgruppen der Kliniken weiterhin eher an Abrechnungsdaten orientieren als an den realen Anforderungen der medizinischen Versorgung der Patienten und Patientinnen. Nichtsdestotrotz muss man schauen, dass Veränderungen oder Verbesserung der Krankenhausreform so vorgenommen werden, dass das Ganze nicht am Ende verwässert wird und wir im Grunde so weitermachen wie bisher. Insofern ist Konsequenz wichtig – und dass man das jetzt gut durchdenkt, und zwar miteinander. Das Ergebnis sollte kein Patchwork unterschiedlichster Gruppeninteressen, sondern auf die Notwendigkeiten der Versorgung der Bevölkerung zugeschnitten sein.

    Bei der Bundestagswahl wurde die AfD zweitstärkste Kraft. Rechtspopulistische Positionen finden zunehmend auch in der gesellschaftlichen Mitte Resonanz. Welche möglichen Folgen könnte dies für Gewerkschaften haben?

    Durch die Verbreitung des Narrativs, dass gewerkschaftliche Arbeit dem Wirtschaftswachstum schade, soll die Selbstständigkeit und die Mitbestimmung der Arbeitnehmenden beschnitten werden. Das spüren wir – und daher ist es die Aufgabe der Arbeitnehmerverbände, hier entgegenzusteuern. Man kann über stilistische Fragen sehr wohl streiten, zum Beispiel wann ein Streik angebracht ist und wann nicht. Allerdings muss die Öffentlichkeit wissen, dass das Verhandeln mit der Arbeitgeberseite die letzten Jahre immer schwieriger geworden ist: Erstforderungen der Gewerkschaften werden vielfach überhaupt nicht mehr diskutiert. Vielmehr legt die Arbeitgeberseite von der ersten Stunde an eine Blockadehaltung an den Tag. Und das stellt Gewerkschaften taktisch und systematisch vor große Herausforderungen. Was bleibt uns anderes übrig als zu streiken, wenn gar kein Dialog möglich ist? Und wenn Arbeitgeberverbände – wie Gesamtmetall mit ihrer Gesetzesinitiative – der Arbeitnehmerseite eine Schlichtung aufzwingen wollen, während sie von vornherein jegliches Forderungspapier mit Füßen treten, ist das heuchlerisch.

    Am Ende muss man sich vor Augen führen: Die Mehrheit der Menschen in diesem Land ist erwerbstätig und abhängig beschäftigt. Jede Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte betrifft daher die produktive Mitte unserer Gesellschaft – und würde letztlich dem Wohlstand der Mehrheitsbevölkerung schaden. Unter dem Strich haben abhängig Beschäftigte in den vergangenen drei Jahrzehnten einen deutlichen Kaufkraftverlust hinnehmen müssen. Profitiert haben hingegen vor allem jene, die ihr Kapital für sich arbeiten lassen – also Großanleger, Aktionäre und Konzerne.

    Nun zur Landespolitik: Sie haben in der Vergangenheit bereits gut mit Senatorin Schlotzhauer zusammengearbeitet. Ist es aus Ihrer Sicht ein Vorteil, diese Kontinuität in Hamburg zu haben?

    Ich bin dankbar, dass der Austausch zwischen uns als Gewerkschaft bzw. der Kammer als Standesvertretung und der Behörde weiterhin in der gewohnten, kollegialen und konstruktiven Atmosphäre stattfindet – auch wenn wir naturgemäß nicht immer dieselben Positionen vertreten. Entscheidend ist doch, wie man diesen unterschiedlichen Positionen begegnet und versucht, sie zusammenzubringen. Dabei haben wir in Hamburg als Stadtstaat den Vorteil, mit allen Akteuren – den Krankenhäusern, den Kassen, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Kammer – weitgehend auf kurzem Dienstweg kommunizieren zu können. Das erleichtert es, Kräfte zu bündeln und manches schneller zu organisieren, als es in Flächenländern möglich wäre. Insofern haben wir die Chance, so etwas wie eine Petrischale der Republik zu sein. Meine Hoffnung ist, dass wir durch effiziente und progressive Arbeit zeigen können, dass nicht alles, was direkt oder indirekt mit dem Staat zu tun hat, lästig oder bürokratisch sein muss.

    Wofür möchten Sie sich in den kommenden Jahren als Präsident der Ärztekammer Hamburg und 1. Vorsitzender des MB Hamburg stark machen?  

    Mir ist wichtig, dass wir die Prozesse in der Kammer schlank halten und effektiv arbeiten, um Raum für andere Anliegen und Themen zu schaffen – wie Fachveranstaltungen, Digitalisierungs- und KI-Projekte oder die Weiterbildung. Im Zuge der Krankenhausreform und der Ambulantisierung der Medizin wird eine Verzahnung zwischen den Einrichtungen zur Vermittlung der Weiterbildung immer wichtiger. Die Organisation entsprechender Weiterbildungsverbünde und die Schaffung von mehr Transparenz werden in Zukunft eine große Rolle spielen. Gleichzeitig wollen wir mit dem Kollegium im Dialog bleiben, um die Qualität der Weiterbildung kontinuierlich zu verbessern. Ich kann nur immer wieder an die Kolleginnen und Kollegen appellieren, sich einzubringen und sich beispielsweise an Evaluationen zu beteiligen – denn wir können nicht im luftleeren Raum agieren.

    Was motiviert Sie in diesem Amt?

    Ich bin der Überzeugung, dass es wichtig ist, dass wir Ärztinnen und Ärzte die Dinge selbst regeln und organisieren, weil das in der Regel zu deutlich besseren Ergebnissen führt, als wenn fachfremde Personen das machen. In Zeiten, in denen die Demokratie unter Beschuss steht, brauchen wir mehr – nicht weniger – Demokratie. Wir müssen zeigen, dass Demokratie funktionieren und zur Zufriedenheit der Mehrheit beitragen kann. Für diesen inhaltsgetriebenen, faktenbasierten und menschenwürdigen Dialog will ich einstehen.

    Vielen Dank für das Gespräch.