• „Wir werden so oft auf unsere Herkunft reduziert“

    Rassismus im Gesundheitswesen
    15.April 2024
    Hamburg
    Saman Keshtkaran, Mitglied der Studierendenvertretung des MB Hamburg, spricht im Interview über die Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte.
    Saman Keshtkaran ist Studierendenvertreter beim MB Hamburg
    Saman Keshtkaran ist Studierendenvertreter beim MB Hamburg

    Ende letzten Jahres hat das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorging, dass Schwarze sowie muslimische und asiatische Personen im Gesundheitssystem deutlich benachteiligt werden. Überrascht Sie das?

    Nein, im Gegenteil. Das war mir schon lange bewusst. Es freut mich aber, dass das jetzt wissenschaftlich belegt ist und die Ergebnisse auch einer breiten Öffentlichkeit verdeutlichen, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt. Rassismus im Gesundheitswesen ist ein relevantes Thema, das Aufmerksamkeit verdient und für das wir Lösungen brauchen. In Deutschland sind Fachkräfte im Gesundheitswesen mit Migrationsgeschichte unverzichtbar. Zudem sind wir auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen, deshalb sollte es uns auch ein Anliegen sein, als Einwanderungsland attraktiv zu sein.

    Ihre eigene Familie ist aus dem Iran nach Deutschland immigriert. Haben Familienmitglieder oder auch Sie selbst rassistische Diskriminierungserfahrungen im deutschen Gesundheitssystem gemacht?

    Definitiv. Um mich auf dieses Gespräch vorzubereiten, habe ich mich umgehört und festgestellt, dass wirklich jedes Familienmitglied eine Geschichte zu erzählen hat. Bei meiner Mutter musste nach einem Behandlungsfehler der Uterus entfernt werden. Nach der Operation litt sie unter starken Schmerzen, wurde jedoch vom Arzt nicht ernst genommen. Stattdessen wurde ihr gesagt, dass deutsche Frauen viel mehr aushalten könnten und sie für die Behandlung dankbar sein solle. Erst bei ihrem niedergelassenen Gynäkologen erhielt sie die nötige Unterstützung.

    Sowohl mein Bruder als auch ich erleben im Alltag, wie man uns aufgrund unseres äußeren Erscheinungsbildes diskriminiert. Sobald bekannt wird, dass ich Medizin studiere und in der Intensivkrankenpflege tätig bin, und mein Bruder Theologe ist, ändert sich die Wahrnehmung uns gegenüber schlagartig. Plötzlich fühlt es sich so an, als wenn wir wie Sehenswürdigkeiten betrachtet werden, weil wir nicht den gängigen Vorurteilen entsprechen. Wir werden so oft auf unsere Herkunft reduziert. Wir werden für unser gutes Deutsch gelobt, wie gut wir integriert sind oder wie wir uns anpassen, aber die ständige Betonung unserer Herkunft und die implizite Annahme, dass dies überraschend ist, hinterlässt ein Gefühl der Fremdheit und des Nicht-Dazugehörens. Das macht etwas mit einem.

    Und dann gibt es Erfahrungen mit offensichtlichem Rassismus. Während meiner Zeit als Intensivpfleger wurde mir beispielsweise von einem älteren Patienten vorgeworfen, ich sei unhygienisch, nicht, weil ich mich in einer Situation unhygienisch verhalten habe, sondern weil er davon ausging, dass alle Ausländer dreckig arbeiten. Im Nachhinein hätte ich mich wahrscheinlich beschweren sollen, aber stattdessen antwortete ich ihm lediglich, dass ich ihn genauso behandeln würde wie alle anderen Patienten.

    Was macht man in einer solchen Situation?

    Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass es wichtig ist, nicht alles einfach hinzunehmen und das Gespräch zu suchen. Am UKE gibt es mittlerweile eine Integrations- und Anti-Rassismusbeauftragte, und die Ärztekammer Hamburg hat vor einem Jahr eine Anlaufstelle gegen Diskriminierung eingerichtet, an die man sich wenden kann. Persönlich habe ich diese Angebote bisher noch nicht genutzt, aber werde das in Zukunft in Betracht ziehen.

    Findet Rassismus auch im Medizinstudium statt?

    Die jüngere Generation ist wesentlich sensibler im Umgang mit Menschen verschiedener Herkunft. Es gibt auch studentische Vereinigungen, die sich für Betroffene stark machen. Sobald jemandem rassismuskritische Inhalte auffallen, werden diese unverzüglich gemeldet. 

    Im Praktikum in einem neuen Umfeld erlebte ich es wieder völlig anders. Ich hatte mich innerlich vorbereitet und war hochmotiviert, wurde aber in mehreren Situationen nur auf meine Herkunft reduziert. So ganz unten in der Hierarchiestufe war ich mir jedoch unsicher, wie ich angemessen reagieren sollte.

    Die westliche Medizin hat sich jahrelang am weißen Mann orientiert. Findet denn bei den Lehrinhalten ein Wandel in Richtung mehr Diversität statt?

    Das ist ein wichtiger Aspekt. In der Dermatologie hat man beispielsweise viele Hautkrankheiten, die auf dunkler Haut anders aussehen als auf heller Haut. So etwas kommt im Studium noch zu kurz. Andererseits nimmt das Bewusstsein für Vielfalt schon auch zu. So wurde uns geraten, beispielsweise bei Aufklärungsgesprächen Dolmetscher für eine bessere Verständigung hinzuzuziehen. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass im Curriculum viel mehr Wert auf Diversität gelegt werden sollte.

    Zum Schluss: Was braucht es, damit die Medizin in Zukunft vielfältiger und inklusiver wird?

    Wir müssen vor allem als gesamte Gesellschaft lernen, sensibler zu sein und füreinander einzustehen. Und das ist ein langer Prozess, der nicht über Nacht geschieht. Es bedeutet auch, dass wir in unserer Kritik den richtigen Ton finden müssen und Menschen ermutigen sollten, die Angst haben, im Umgang mit Personen mit Migrationsgeschichte Fehler zu machen. Deshalb ist der Dialog so wichtig.

    Gleichzeitig müssen wir Rassismus im Gesundheitswesen als ernstzunehmendes Problem erkennen. Denn es sind keine Einzelfälle, über die wir hier sprechen. Wir müssen weiterhin darauf aufmerksam machen und den Betroffenen – beispielsweise durch Empowerment-Workshops oder Umfragen – eine stärkere Stimme geben.