
Für Keshtkaran stand früh fest, dass er am Ende seines Medizinstudiums ins Ausland wollte: „Mir war wichtig, noch einmal über den Tellerrand zu schauen und andere Gesundheitssysteme kennenzulernen.“ Im November 2024 packte er seine Koffer und reiste für zwei Monate nach Newcastle im Norden Englands.
England: Nah dran am Consultant
Mit der Planung seines Auslandsaufenthalts hatte Keshtkaran rund neun Monate zuvor angefangen. Er informierte sich beim Landesprüfungsamt, bewarb sich mit Lebenslauf, Zeugnissen und Sprachzertifikat und stellte sich nach der Zusage der Universität zusätzlich seinem zukünftigen Vorgesetzten vor. Wer in England sein PJ absolviert, wird als „Medical Elective Student“ einem Consultant – also einem Facharzt oder einer Fachärztin – zugeteilt und hat damit während des gesamten Aufenthalts eine feste Ansprechperson.
Sein Einsatz erfolgte am Royal Victoria Infirmary und am Great North Children’s Hospital in Newcastle. Dort begleitete er seinen Consultant und assistierte ihm regelmäßig bei unfallchirurgischen und orthopädischen Eingriffen an pädiatrischen und erwachsenen Patientinnen und Patienten. Zudem war er zwei- bis dreimal pro Woche in der Sprechstunde, nahm an Visiten teil und wurde in wöchentliche multidisziplinäre Fallbesprechungen eingebunden. Ergänzend dazu bot sich ihm am Freeman Hospital die Möglichkeit, an onkologischen Tumorboards zu benignen und malignen Knochentumoren mitzuwirken.
Eine PJ-Aufwandsentschädigung erhielt Keshtkaran jedoch nicht. Die Lebenshaltungskosten in England waren hoch, und neben den Studiengebühren zahlte er noch rund 1.000 Euro Miete für die Studierendenunterkunft. „Es war schon echt teuer – viel länger hätte ich mir das nicht leisten können“, berichtet Keshtkaran.
Familiäre Atmosphäre
Gleich positiv aufgefallen ist ihm die flachere ärztliche Hierarchie im Krankenhaus: Es gibt einen großen Pool an Fachärztinnen und Fachärzten mit hoher Eigenständigkeit. Und auch Pflegekräfte arbeiten in England stärker auf Augenhöhe mit Ärztinnen und Ärzten zusammen.
„Die Herzlichkeit im Team und die familiäre Atmosphäre haben mich wirklich beeindruckt“, erinnert sich Keshtkaran. Im Vergleich zu deutschen Kliniken nahm er auch einen geringeren wirtschaftlichen Druck im Gesundheitswesen wahr: Patientinnen und Patienten blieben länger auf der Station als durchschnittlich in Deutschland, und auch die Operationspläne waren weniger durchgetaktet. Gleichzeitig äußerten viele Mitarbeitende eine große Unzufriedenheit über die Arbeitsbedingungen im NHS und berichteten von monatelangen Wartelisten für Patientinnen und Patienten für notwendige Behandlungen.
Schweiz: 933 Franken Aufwandsentschädigung
Nach acht Wochen in England zog Keshtkaran weiter in die Schweiz, wo er im Spital Limmattal nahe Zürich tätig war – in der Klinik für Allgemein-, Gefäß- und Viszeralchirurgie. Gleich zu Beginn erhielt er eine umfassende Einführung durch die Lehrbeauftragte sowie einen detaillierten Dienstplan, ein eigenes Diensthandy und einen Spind.
Keshtkaran verdiente 933 Franken pro Monat und bezahlte davon 300 Franken für ein möbliertes Zimmer im Personalhaus. Für jeden Bereitschaftsdienst erhielt er zusätzlich 40 Franken. Aber: „Die Lebenshaltungskosten in der Schweiz waren enorm. Ein einfaches Mensaessen kostete bis zu 20 Franken.“ Umso mehr schätzte er die Gastfreundschaft seiner besserverdienenden Kolleginnen und Kollegen, die ihm öfter mal einen Kaffee spendierten.
Anders als erwartet, wurde im Klinikalltag häufig Hochdeutsch gesprochen – nicht zuletzt, weil rund die Hälfte der ausländischen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz aus Deutschland stammt. „Manche haben mir berichtet, dass sie den Eindruck haben, sich zu sehr den Deutschen anpassen zu müssen.“ Um dem entgegenzuwirken, signalisierte Keshtkaran seine Bereitschaft, Schweizerdeutsch zu lernen und übernahm einzelne Ausdrücke in seinen Sprachgebrauch.
Hohes Arbeitspensum als Unterassistenz
Offiziell hatte Keshtkaran einen 42-Stunden-Vertrag. Tatsächlich war er jedoch rund 50 Stunden pro Woche in der Klinik, unter anderem wegen zahlreicher Fortbildungen. Hinzu kamen 18 Pikettdienste (Bereitschaftsdienste), in denen er binnen 30 Minuten im OP einsatzbereit sein musste. Für Ausflüge ins Umland blieb während des PJ kaum Zeit.
Die Hierarchien im Schweizer Gesundheitssystem sind mit denen in Deutschland vergleichbar. Als PJler wurde Keshtkaran als Unterassistent fest auf Station eingesetzt, war in der chirurgischen Notaufnahme sowie im Operationsdienst eingebunden. „Mir wurde hier viel zugetraut“, erzählt er. „Ich wurde beispielsweise allein zu Patienten geschickt, um Voruntersuchungen durchzuführen, die ich dann dem Oberarzt präsentierte.“
„Ich habe in dieser Zeit im Ausland so viel gelernt!“, fasst Keshtkaran zusammen. Die praktische Berufserfahrung, der intensive Austausch mit internationalen Kolleginnen und Kollegen und der direkte Einblick in verschiedene Gesundheitssysteme haben ihm wertvolle Perspektiven eröffnet. Und dennoch: „Gerade im Vergleich ist mir bewusst geworden, wie sehr ich die Strukturen und Arbeitsweisen im deutschen Gesundheitssystem schätze – und dass ich meine ärztliche Laufbahn erst einmal gerne hier beginnen möchte.“