• Einführung: MB BW nimmt Kontrollbehörden in die Pflicht

    Eigentlich sollte es in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein, dass sich die öffentliche Hand für die Einhaltung von Gesetzen einsetzt und etwaige Gesetzesverstöße überprüft und gegebenenfalls auch ahndet. Im Bereich des Arbeitsschutzes und des Arbeitszeitgesetzes funktioniert dies auch in vielen Branchen. So werden zum Beispiel die Lenk- und Ruhezeiten von LKW-Fahrern durch Tachographen erfasst, um Verstöße nachvollziehen zu können. Neben dem Gesundheitsschutz der LKW-Fahrer geht es dabei auch um die Sicherheit im Straßenverkehr. Die Kontrolle von etwaigen Verstößen findet durch die Polizei auf der Straße und auch in gewissem Umfang durch Auswertungen der Aufzeichnungen der Lenk- und Ruhezeiten in betroffenen Unternehmen durch die zuständigen Kontrollbehörden statt.


    Zunächst dienen die Regelungen zum Arbeitsschutz und zum Arbeitszeitgesetz dabei immer dem Schutz des Einzelnen vor Gesundheitsgefährdungen. Sie wurden erlassen, um rein marktwirtschaftlichen Mechanismen, die sich auf die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Zweifel negativ auswirken, Grenzen zu setzen.


    Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien belegt z.B., dass die Gefahr von Unfällen am Arbeitsplatz mit der Arbeitsdauer korreliert. Je länger man arbeitet, desto größer ist auch die Gefahr, Fehler zu begehen. Gerade bei Berufsgruppen, die durch potenzielle Fehler das Wohlergehen von anderen Menschen gefährden könnten, beschränkt sich der Schutz also nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer.

    Die Einhaltung der Schutzvorschriften wirkt sich mittelbar auch auf diese Menschen aus. In diesen Fällen muss die Einhaltung von Arbeitsschutzregelungen auch im besonderen Interesse der öffentlichen Hand liegen. Bei den genannten Lkw-Fahrern, Busfahrern oder Piloten ist dies daher regelmäßig Thema. 


    Aber auch für Ärztinnen und Ärzte gilt dies in ganz besonderem Maß.  Mögliche Fehler, deren Ursache auf die Übermüdung oder Überlastung von Ärztinnen und Ärzten zurückzuführen sind, können die Patientinnen und Patienten direkt betreffen und im Zweifel fatale Folgen nach sich ziehen.


    Gleichzeitig sind Krankenhäuser dazu bestimmt, jeden Tag und jede Stunde der Woche eine ärztliche Versorgung zu bieten. Patientenversorgung lässt sich nicht wie eine Maschine abstellen.


    Um diesen Widerspruch aufzulösen, bietet das Arbeitszeitgesetz den Tarifvertragsparteien viele Möglichkeiten (so genannte Öffnungsklauseln), die Regelungen den Notwendigkeiten der  jeweiligen Branche anzupassen.


    In der bewährten Tradition der Sozialpartnerschaft schließen in Deutschland die Arbeitgebervertreter und die Gewerkschaften Tarifverträge, in denen die Arbeitsbedingungen einzelner Branchen und Berufsgruppen geregelt sind. Der Marburger Bund hat in allen Tarifverträgen für Krankenhausärztinnen- und Ärzte - sei es bei kommunalen Krankenhäusern oder Universitätsklinika oder bei gewinnorientierten, privatwirtschaftlich organisierten Klinikbetreibern, - Tarifverträge abgeschlossen, die viele der rechtlich möglichen Öffnungsklauseln nutzen. Dabei werden die vorhandenen Möglichkeiten – sei es bezogen auf die tägliche oder die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit sehr weitreichend genutzt. Doch selbst diese, tarifvertraglich festgelegten, „geöffneten“ Arbeitszeit-Obergrenzen werden oft systematisch überschritten.


    Nun ist jedem klar, dass kein Arzt und keine Ärztin inmitten einer Operation das Skalpell fallen lassen kann, wenn er oder sie die maximale Arbeitsdauer erreicht hat. Der Grundsatz „Not kennt kein Gebot“ gilt natürlich, wenn wirklich ein Notfall vorliegt. Wenn jedoch beispielsweise Operationen so angesetzt werden, dass von Beginn an klar ist, dass die tägliche Höchstarbeitsdauer überschritten wird, dann kann man nicht mehr von Notfällen sprechen. Es geht um die Vielzahl der Fälle, in denen systematisch, also regelmäßig und geplant, gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wird. Ganz überwiegend dulden Ärztinnen und Ärzte solche Verstöße. Mit viel persönlichem Einsatz, einem ungeheuren Pflichtbewusstsein und mit Disziplin wird die anfallende Arbeit eben erledigt. Das ärztliche Berufsethos darf an dieser Stelle nicht unterschätzt werden. Den Patientinnen und Patienten zu helfen, steht im Mittelpunkt der ärztlichen Tätigkeit. Vom Grundsatz her ist diese Herangehensweise natürlich vollkommen richtig und beruhigend. Wenn das Berufsethos jedoch ausgenutzt wird, indem davon ausgegangen wird, dass Ärztinnen und Ärzte durch Personalmangel oder mangelnde Organisation verursachte Gesetzesverstöße akzeptieren, dann wird eine Grenze überschritten. Dies kann nicht länger hingenommen werden.


    Auch die Entscheidungsträger in den Krankenhäusern unterliegen Zwängen. Der wirtschaftliche Druck, schwarze Zahlen zu schreiben auf der einen Seite und auf der anderen Seite nicht besetzte Stellen im ärztlichen Dienst und in der Pflege verschärfen natürlich die Arbeitssituation in den Krankenhäusern. Doch für genau solche Situationen, in denen wirtschaftliche Zwänge bestehen und der Druck groß ist, hat der Gesetzgeber eben Arbeitnehmerschutzregelungen erlassen. Das beste Gesetz und die beste tarifvertragliche Regelung verfehlen aber die gewünschte Wirkung, wenn sie nicht angewandt werden, beziehungsweise allgemein bekannt ist, dass die Einhaltung nicht kontrolliert wird. Wer würde sich z.B. an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, wenn allgemein bekannt wäre, dass deren Einhaltung ohnehin nicht überwacht wird?


    Die Überwachung des Arbeitsschutzes ist eine staatliche Aufgabe und liegt in der Kompetenz der Bundesländer, die Gewerbeaufsichtsbehörden in eigener Kompetenz einrichten. Die organisatorische Ausgestaltung der Kontrollbehörden ist jedem Bundesland selbst überlassen. In Baden-Württemberg obliegt die Kontrolle der jeweils beim Land- oder Stadtkreis angesiedelten Gewerbeaufsicht Die Fach- und Rechtsaufsicht liegt wiederum beim zuständigen Regierungspräsidium. In der Landesregierung wurde die politische Verantwortung für den Arbeitsschutz 2016 vom Sozialministerium auf das Wirtschaftsministerium übertragen. Die Dienstaufsicht für den Arbeitsschutz liegt wiederum beim Landesumweltministerium.


    Im Juli 2017 trafen sich Vertreter des Marburger Bundes Baden-Württemberg in einem Gesprächstermin mit Spitzenvertretern des Regierungspräsidiums Freiburg, u. a. mit der Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer. Inhalt des Gesprächs waren neben den Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern auch die Aufgaben und die Arbeitsweise der zuständigen Kontrollbehörden. Es folgten entsprechende Gesprächsrunden mit Spitzenvertretern der drei weiteren Regierungspräsidien Tübingen (Februar 2018), Stuttgart (April 2018) und Karlsruhe (Juni 2018). In allen Gesprächen wurde deutlich, dass die zuständigen Kontrollbehörden nicht über die benötigten personellen Ressourcen verfügen, um Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz anlassunabhängig und damit präventiv zu überprüfen. Eine Kontrolle von etwaigen Verstößen findet ausschließlich anlassbezogen nach einer Anzeige bei der zuständigen Gewerbeaufsicht statt. Die Frage, ob Anzeigen bei den zuständigen Behörden überhaupt grundsätzlich sinnvoll seien, wurde bejaht. Dabei wurde der beratende Charakter des Behördenhandelns hervorgehoben. Man ziele darauf ab, Lösungen für vorhandene Problemen in Zusammenarbeit mit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu erarbeiten. Zwar bestünde selbstverständlich auch die Möglichkeit, Bußgelder zu verhängen. Es gebe jedoch keinen Automatismus hin zu einem Bußgeldverfahren. Bußgelder würden einzelfallabhängig auch im Lichte der Schwere der Verstöße und der Bereitschaft zur Beseitigung der Verstöße verhängt werden. Vorrangiges Ziel sei es jedoch, vorhandene Verstöße durch eine beratende Tätigkeit zu beseitigen. 


    Der Marburger Bund Baden-Württemberg hat Ende 2017 das zuständige Wirtschaftsministerium über die sich verschärfenden Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern und die Hintergründe informiert und angeregt, das Thema „Arbeitszeit im Krankenhaus“ zum Schwerpunktthema der Gewerbeaufsicht im Land zu machen. Im Jahr 2010 war dieses Thema letztmalig vom damals noch zuständigen Sozialministerium des Landes zum Schwerpunktthema gemacht worden. Der Vorteil eines solchen Schwerpunktthemas liegt darin, dass in einem festgelegten Zeitraum und Umfang eben nicht nur anlassbezogen, sondern systematisch kontrolliert wird, ob Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz im jeweiligen Schwerpunktbereich vorliegen. Die Antwort des Wirtschaftsministeriums auf den Vorschlag des Marburger Bundes beinhaltete, dass dem Ministerium keine eigenen Erkenntnisse über eine steigende Anzahl von Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz in Krankenhäusern vorliegen. Gleichzeitig wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass Ärztinnen und Ärzte, die mit Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz in ihrem Berufsalltag konfrontiert würden, solche Verstöße - gegebenenfalls anonym - bei der zuständigen Gewerbeaufsichtsbehörde anzeigen sollen. Würde sich durch eine vermehrte Anzahl an Anzeigen ergeben, dass Arbeitszeitverstöße in den Krankenhäusern wieder erheblich zunehmen, so würde man eine Wiederaufnahme des Schwerpunktthemas „Arbeitszeit im Krankenhaus“ erneut prüfen.


    Im Sommer 2018 führte der Marburger Bund Baden-Württemberg gemeinsam mit dem renommierten Umfrageinstitut dimap eine Mitgliederbefragung durch, in der sich 85 % seiner Mitglieder dafür aussprachen, dass die zuständigen Kontrollbehörden, in der Regel die zuständige Gewerbeaufsicht vor Ort, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes auch ohne besonderen Anlass systematisch überprüfen solle. 


    Offensichtlich gibt es in der Frage, ob regelmäßige Überprüfungen der Arbeitszeiten in den Krankenhäusern nötig sind oder nicht, einen Dissens zwischen dem Marburger Bund und dem Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg.