• Bundesverfassungsgericht lässt mehr Fragen offen, als es beantwortet

    Tarifeinheitsgesetz
    20.Juli 2017
    „Die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes sind weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden. Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen.“

    Mit diesen Worten entlässt das Bundesverfassungsgericht den Marburger Bund und die weiteren Gewerkschaften, die Verfassungsbeschwerden gegen das Tarifeinheitsgesetz erhoben hatten, in seinem Urteil. Gleichzeitig stellt das Gericht klar: das Streikrecht wird durch das Tarifeinheitsgesetz nicht angetastet. Es werden auch keine neuen Haftungsrisiken geschaffen. Diese Aussagen sind keinesfalls zu unterschätzen! War es doch das versteckte Ziel des Gesetzes, Streiks kleiner Gewerkschaften zu verhindern.

    Im Kern bestätigt das Bundesverfassungsgericht aber, dass der Tarifvertrag der Mehrheit den der Minderheit verdrängen darf. Bei vielen Einzelfragen gibt es dann einen Rahmen vor, den die Arbeitsgerichte bei der Anwendung des Gesetzes im Streitfall zu beachten haben und sagt, wo der Gesetzgeber noch nachbessern muss. Genauere Vorgaben macht es dabei nicht.
    Wer also erwartet hatte, dass nach dem Urteil aus Karlsruhe nun alles klar sei, wird enttäuscht. Im Ergebnis stiftet es viel Verwirrung. Und es muss bezweifelt werden, dass einzelgerichtliche Urteile zeitnah mehr Klarheit schaffen.
    Das Gericht hat das Gesetz trotz seiner erheblichen Mängel nicht sofort aufgehoben. Der Gesetzgeber darf stattdessen bis Ende 2018 nachbessern. Er muss Vorkehrungen treffen, dass die Belange der Minderheit bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge nicht einseitig vernachlässigt werden. Was genau das heißt, sagt das Gericht nicht. Wir dürfen auf die Vorschläge des Gesetzgebers gespannt sein, sollten aber nicht viel erwarten.
    Das oberste Gebot lautet daher zunächst: nicht in blinden Aktionismus verfallen!
    Die derzeit bestehenden tariflichen Regelungen können nach den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht macht, erst einmal nicht von der Verdrängung betroffen sein. Für weitere Tarifrunden muss sich der Marburger Bund wappnen! Und so viele Mitglieder wie irgend möglich haben!
    Gleichzeitig müssen wir offen diskutieren, wie der Marburger Bund darüber hinaus auf das Urteil reagieren kann. Ist die vom Gericht eröffnete Möglichkeit, die gesetzlichen Regelungen einvernehmlich mit allen Beteiligten – also Arbeitgeber und Konkurrenzgewerkschaften - abzubedingen, eine Lösung? Oder muss der MB gar seinen Tätigkeitsbereich erweitern? Wenn ja, wie?
    Insbesondere, dass wir uns die letzte Frage überhaupt stellen müssen, macht deutlich, dass alle, die das Tarifeinheitsgesetz geschaffen haben, Verrat an allen Beschäftigten begangen haben. Mit dem Tarifeinheitsgesetz wird ein enormes Konfliktpotenzial in die Betriebe getragen. Paradox – sollte das Gesetz doch Konflikte gerade vermeiden.
    Für uns gilt es aber nun, die genannten weitreichenden Fragen zu diskutieren. Bringen Sie sich in diese Diskussion ein, denn es geht um nichts weniger als die Zukunft Ihres Marburger Bundes!