• Keine Hilfe in Krisensituationen zu finden

    Netzwerk will für mentale Gesundheit sensibilisieren / Große Umfrage mit LÄKH und HKG in Hessen umgesetzt
    10.Oktober 2025
    In einer Frankfurter Klinik nimmt sich ein Arzt während des Dienstes das Leben. Die Kolleginnen und Kollegen sind schockiert, sollen aber weiter arbeiten. Zur Beerdigung dürfen nur wenige Kolleginnen und Kollegen gehen, der Rest muss ja arbeiten. Das Netzwerk junge Ärztinnen und Ärzte des Marburger Bundes (MB) Hessen e.V. hat der Fall des Kollegen so sehr aufgerüttelt, dass die Medizinerinnen und Mediziner für das Thema Mental Health sensibilisieren wollen. Dazu haben sie zusammen mit der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) eine Umfrage konzipiert. Diese wird von der LÄKH und der hessischen Krankenhausgesellschaft pünktlich zum World Mental Health Day am 10. Oktober via einer Email-Aussendung über die LÄKH an rund 16.000 angestellte Kolleginnen und Kollegen in Hessen verschickt. Die Umfrage will klären: Beschäftigen sich angestellte Ärztinnen und Ärzte sowie hessische Krankenhäuser und Einrichtungen mit dem Thema mentale Gesundheit und bieten sie ihren Mitarbeitenden Hilfe an? Die Laufzeit der Umfrage ist ab diesem Tag auf drei Wochen bis zum 31. Oktober angelegt.

    „Keiner kümmert sich darum“

    „Einem Arzt wurde in einer Klinik mit einer Schreckschusspistole ins Gesicht geschossen“, berichtet Dr. Julia Riemenschneider vom MB-Netzwerk Junge Ärztinnen und Ärzte. „Er wurde untersucht, erhielt Medikamente und arbeitete dann weiter. Er hat aber keine akute Hilfe oder mentale Unterstützung am Arbeitsplatz bekommen.“ Viele schlimme Dinge passierten Ärztinnen und Ärzten: bedrohliche Konflikte und Gewalt in Notaufnahmen und Krankenhäusern, auch mit Angehörigen, der Tod von Patientinnen und Patienten oder eine  harte Nacht im Rettungsdienst „und selten kümmert sich jemand darum wie es Ärztinnen und Ärzten dabei geht“. Oder eine Reanimation scheitert und der Vorgesetzte meckert nur, anstatt den Fall mit den Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung professionell nachzubesprechen, so Dr. Joscha Schork, ebenfalls Netzwerk-Mitglied. „Und es müssen nicht immer nur die großen Sachen sein, die einen mental belasten.“ Außenstehende gingen immer davon aus, dass es gerade in Krankenhäusern viele „Rückfallebenen“ für solche Situationen gebe, so die Erfahrung des Netzwerks. Ihre Erfahrung aus dem Berufsleben ist aber eine andere. „Klinikintern kenne ich kein einziges Angebot“, so Riemenschneider. „Und auch Freunde, die in Frankfurter Häusern arbeiten, wissen davon nichts.“ So erging es auch Schork, der jetzt in der Universitätsklinik Gießen das erste Mal über das Hilfsangebot eines externen Instituts, das für die Mitarbeitende zur Verfügung steht in privat und beruflich schwierigen Situationen, von seiner Oberärztin informiert wurde. „Ich war positiv überrascht, denn in den anderen Häusern, in denen ich gearbeitet habe, war das Thema nicht präsent.“ An der Frankfurter Universitätsklinik würde immerhin ein Krisentelefon beworben, aber welche Hilfestellung dieses Angebot gebe, wisse er auch nicht, berichtet Sukhdeep Arora aus dem Netzwerk.

    „Wir wollen für das Thema sensibilisieren“

    „Wir gehen davon aus, dass das Thema Mental Health an den hessischen Krankenhäusern zu stark unterrepräsentiert ist. Und das wollen wir mit der Umfrage zusammen mit der LÄKH belegen“, so Riemenschneider. „Wir wollen in einem ersten Schritt für das Thema Mental Health und auch das Second-Victim-Phänomen sensibilisieren. Ein weiterer Schritt wäre dann ein flächendeckendes Angebot zu schaffen, dass Ärztinnen und Ärzte bei diesen Themen unterstützt und von dem sie auch wissen.“

    Im Februar haben sich das Netzwerk, Dr. Christian Schwark (Landesverbandsvorsitzender des MB und Vizepräsident der LÄKH) und Nina Walter, ärztliche Geschäftsführung der LÄKH, das erste Mal getroffen. Die Kooperation ermöglicht es den jungen Medizinerinnen und Medizinern ihr Thema an einem großen Kollegenkreis zu adressieren, wofür sie sehr dankbar sind. „Grundlage unseres Austauschs war auch der MB-Monitor 2024, der so eindrücklich zeigt, wie sehr die Gewalt am Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte zunimmt“, sagt Riemenschneider. Wissenschaftlich sei belegt, dass es den Betroffenen bereits helfe, wenn das Umfeld um das Second-Victim-Phänomen wisse und entsprechend reagiere. Ein „Wie geht es dir?“ reiche oft aus. „Ich hatte im Juli selbst einen schlimmen Fall im Einsatz als Notärztin und mir hat es extrem geholfen, dass mich jemand von der Notarztstelle gefragt hat, wie es mir geht und ob ich weiterarbeiten will und auch, dass drei Tage später nochmal nachgefragt wurde. Im Krankenhaus klopft man sich nur auf die Schulter, so nach dem Motto: Geht schon. Da ist uns der Rettungsdienst einfach 30 Jahre voraus!“

    Auch der Marburger Bund Hessen macht diese Erfahrung in seiner Rechtsberatung. „Oft sind wir für betroffene Ärztinnen und Ärzte eine Anlaufstelle, weil es in Kliniken keine veröffentlichten Hilfsangebote oder eine Art Ablaufplan gibt, mit welchen Schritten schnell geholfen werden kann“, so Verbandsjuristin Alexandra Kretschmer. „Das muss sich dringend ändern.“ Die Kooperationspartner  freuen sich auf möglichst viele Umfrageteilnehmer, um für das Thema Mental Health zu sensibilisieren.   (Mh)

    Sie suchen ein Hilfsangebot in einer kritischen Situation? Das Netzwerk Junger Ärztinnen und Ärzte des MB Hessen hat hier eine Liste erstellt:

    Infobox: Second-Victim-Phänomen

    In der Patientenversorgung treten immer wieder unerwartete Ereignisse und kritische Situationen auf, die sowohl Patientinnen und Patienten als auch medizinisches Personal schädigen können. Bei betroffenen Ärztinnen und Ärzten und ihren Teams können sich z. B. Stressreaktionen, Überforderung, verminderte Entscheidungsfähigkeit oder eingeschränkte Handlungsfähigkeit entwickeln. Nicht zu unterschätzen ist der Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten sowie die Angst, in Folge einer kritischen Situation Fehler zu machen. Dies kann die Lebensqualität der Behandelnden reduzieren, aber auch die Sicherheit der Versorgung vieler weiterer Patientinnen und Patienten gefährden. Das „Second-Victim-Phänomen" beschreibt diese Belastung des Personals. Es ist für alle Beteiligten hilfreich, dieses Phänomen zu verstehen, persönlich wie institutionell vorbereitet zu sein und im Ereignisfall wirksame Maßnahmen, insbesondere kollegiale Unterstützung (Peer-Support) zu nutzen, um das Second-Victim-Phänomen rasch und vollständig zu überwinden und dauerhaft gesund zu bleiben.

    Quelle: marburger-bund.de

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