• Hauptversammlung des Marburger Bundes Hessen

    Pressemitteilung
    Marburger Bund Hessen diskutiert über Chancen und Risiken der Digitalisierung
    30.Oktober 2019
    „Digitale Transformation im Gesundheitswesen – wo steht Hessen?“, unter diesem Motto stand die diesjährige Hauptversammlung des Marburger Bundes Hessen. Mit zwei Impulsvorträgen und einer Podiumsdiskussion mit geladenen Gästen aus der hessischen Gesundheitspolitik, wurde das Thema Digitalisierung eingehend diskutiert.
    Hauptversammlung des MB Hessen
    Hauptversammlung des MB Hessen

    Elektronische Patientenakten

    Den Anfang machte Dr. Susanne Johna, Landesverbandsvorsitzende des Marburger Bundes Hessen mit Ausführungen zur Telemedizin. Ein weiterer wichtiger Punkt waren die Gesundheitsakten und speziell die elektronische Patientenakte (ePA). In diesem Zusammenhang wies Johna deutlich auf die Datenhoheit des Patienten hin. „Die elektronische Patientenakte enthält Daten des Patienten und damit gehören sie auch in die Hände der Patienten. Sie müssen entscheiden könne, wer auf welche Daten zugreifen darf“, so Johna. Sie stellte auch die Haftungsfrage in den Raum, wenn Ärzte nicht alle in der ePA vorhandenen Dokumente lesen und es dadurch möglicherweise zum Schadensfall komme.

    Gesundheits-Apps

    Für die Gesundheits-Apps forderte Johna ein Nutzennachweis, wenn Sie zu Lasten der GKV verordnet werden. Schließlich könnten Apps auch Schaden anrichten, vor allem im Bereich der Datensicherheit, wie das derzeit am Beispiel der Symptom-Checker-App ADA der Techniker Krankenkasse diskutiert werde. Ein entscheidendes Problem sieht Johna in der fehlenden Kompatibilität unterschiedlicher digitaler Systeme in den Kliniken wodurch Doppeleingaben entstehen und mehr „ärztliche Zeit verschwendet, als eingespart wird“. Hier fordert Johna dringend finanzielle Investitionen. „Einfache Nutzbarkeit und tatsächliche Entlastung sind Voraussetzungen für eine sinnvolle Digitalisierung.“

    Wie es mit der Digitalisierung in der hessischen Kliniklandschaft aussieht, darauf ging Prof. Dr. Graf, Ärztlicher Direktor und Vorsitzender des Vorstandes des Universitätsklinikum Frankfurt, ein.

    Hessen digital erst am Anfang

    Graf sieht in der Digitalisierung lediglich ein „Mittel zum Zweck“, als Organisations- und Prozessmanagement für die Mitarbeiter wie für die Patienten, mit dem Fokus auf Qualität, Patientensicherheit. Er gab zu bedenken, dass das Thema Digitalisierung differenziert zu betrachten sei und nicht alles Digitale automatisch gut oder schlecht sei. Jedoch liege ein großer Nutzen der Digitalisierung für den Klinikalltag unter anderem in der Mustererkennung, was beispielsweise im Bereich der Radiologie hilfreich sei. „Da wird die Digitalisierung die Therapie besser steuern und die Diagnostik sicherer machen“, erklärt Graf.  Allerdings sieht er Hessen im Digitalisierungsprozess ganz am Anfang.

    Standards beim Datenschutz

    Aus seiner Sicht erfordere Digitalisierung eine völlig neue Denkweise und das Ende der Vereinzelung. Stattdessen seien klare, verbindliche Regeln und Prozesse für alle erforderlich. Zudem fordert Graf neben einem Abbau der Sektorengrenzen, einen Zugang zu einer gemeinsamen Plattform wie auch gemeinsame Standards beim Datenschutz in allen Bundesländern. Es reiche nicht aus, den Blick nur auf Hessen zu richten, denn beim Thema Digitalisierung „gehe es ums Ganze“, um eine Prozesskette im Sinne des Patienten. „Denn es nutzt uns nichts, das bestdigitalisierte Krankenhaus in Hessen zu sein, wenn wir nicht den Anschluss an andere Häuser haben oder zu den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten“, so Graf.

    Die anschließende Podiumsdiskussion behandelte verschiedene Aspekte der Digitalisierung aus politischer Sicht, darunter einen gerechten Infrastrukturausbau, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten bei der Datenauswahl sowie Sicherheitsstandards in der IT und die Finanzfrage. Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Lars Bodammer, 2. stellv. Vorsitzender des Landesverband Hessen.

    Fehlendes Gesamtkonzept

    Einig waren sich die politischen Sprecher darüber, dass auch kleinere Häuser von der Digitalisierung profitieren können, jedoch kein Gesamtkonzept für Hessen vorliege. So räumte Dr. Angela Wirtz, stellv. Abteilungsleiterin der Abteilung Gesundheit des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration, ein, dass hessenweit kein ganzheitliches Digitalisierungskonzept existiere. Auch Dr. Daniela Sommer, stellv. Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, bemängelte, dass es lediglich Insellösungen gebe und keine Gesamtlösung in Sicht sei.

    Patientenrechte

    Christiane Böhm, Referentin für Sozial- und Gesundheitspolitik der Linken, plädierte für das Recht der Patienten an den eigenen Daten. Sie merkte jedoch auch an, dass manche, wie etwa ältere Patienten mit dieser Selbstbestimmung überfordert seien und erinnerte daran, eben auch diese Gruppe in den Digitalisierungsprozess einzubeziehen.

    Torsten Leveringhaus, Sprecher für Digitales und Datenschutz der Grünen, forderte neben der Gründung eines eigenen Instituts zur Setzung verbindlicher Standards in der IT, auch sinnvolle Backup-Lösungen im Sicherheitsbereich. „Denn“, so Leveringhaus, „es darf nicht sein, dass IT-Sicherheit personenzentriert ist“.

    Finanzierungsmöglichkeiten

    Beim Thema Finanzierung stellte Dr. Ralf-Norbert Bartelt, stellv. Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, klar, dass Digitalisierung kein Mittel sei, um kleinere Krankenhäuser zu schließen. Es bedürfe gesonderter Maßnahmen, um gerade diese zu unterstützen. Dafür müssten die Investitionskostenzuschüsse deutlich erhöht werden. Aktuell sei eine Aufstockung von 35 Millionen in diesem Bereich geplant. Wirtz verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass das Land im Rahmen des Strukturfonds hierfür Mittel zur Verfügung stelle, da kein feststehendes Finanzpaket existiere. Sommer forderte an dieser Stelle einen Sonderfonds.

    Seitens der Ärzteschaft wurden kritische Fragen an die Diskutanten gerichtet. So wollte beispielsweise ein Arzt wissen, ob die Diskussion um die Digitalisierung lediglich eine versteckte Debatte um Personalmangel sei. Am Ende erging an alle Politiker der Appell, klare Rahmenbedingungen zu schaffen und aufzuzeigen, wohin sich die Gesundheitspolitik langfristig entwickeln soll. Hierbei steht der Marburger Bund gerne als Ansprechpartner zu Verfügung.

    Mit einem Überblick der letzten beiden Geschäftsjahre ging es dann im zweiten Teil der Hauptversammlung weiter. Johna lobte die positive Mitgliederentwicklung im Landesverband. Der Anstieg sei auf das große Engagement aller Aktiven sowie des großartigen Mitarbeiterteams des MB Hessen zurück zu führen.

    Patientensicherheit

    Neuigkeiten gab es seitens des neuen Gesundheitsministers Kai Klose zum Thema Patientensicherheit. Neben der Gründung eines Landesbeirats Patientensicherheit sei auch die Einführung eines Patientensicherheitsbeauftragten geplant. Dessen Aufgaben seien die Mitwirkung bei der Entwicklung einer Sicherheitskultur, die Koordination und Implementierung von Maßnahmen sowie die Beurteilung der klinischen Risiken. Diese Position sei als Stabsstelle der Geschäftsführung geplant und müsse nicht von einem ärztlichen Mitarbeiter ausgefüllt werden.

    Weitere Themen waren das im November in Kraft tretende Digitale Versorgungsgesetz, die Umsetzung der neuen Weiterbildungsordnung, die gelungene Umwandlung der Teilstudienplätze in Hessen sowie die Wahlen der Landesärztekammer, bei denen es trotz gutem Wahlkampf und Stimmenzugewinn nicht zur Spitzenposition gereicht hat.

    Beim Thema integrierte Notfallzentren ging Johna explizit auf den Diskussionsentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein. Dieser habe zu einem Stillstand und fehlender Planungssicherheit in den Kliniken geführt. „Wir brauchen in den Notaufnahmen vor allem eine bessere Kooperation der Krankenhaus- und Vertragsärzte, nicht neue Hürden durch einen dritten Sektor, stellte Johna klar.

    Tarifrunde VKA

    Die Tarifrunde mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitsgebern (VKA) wurde als großer Erfolg gewertet, auch wenn sich der finale Abschluss noch lange hingezogen habe. Die hohe Beteiligung der Mitglieder an den Warnstreikaktionen habe maßgeblich zum Erfolg beigetragen.

    Andreas Wagner, Geschäftsführer des Marburger Bundes Hessen, erläuterte den Stand der derzeitigen Tarifverhandlungen in Hessen, angefangen von den Unikliniken bis hin zu einzelnen Häusern. Je nach Tarifobjekt geht es dabei neben Forderungen zu Lohnerhöhungen auch um wichtige Themen wie die Begrenzung der Bereitschaftsdienste, freie Wochenenden im Kalendermonat oder elektronische Zeiterfassung.  Beschlossen wurde dann eine Satzungsänderung, die die Möglichkeit eröffnet, den Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands für die Wahrnehmung ihres Amtes eine Aufwandsentschädigung zu gewähren.

    Weitere Beschlüsse der Hauptversammlung:

    Investitionen für Digitalisierung

    Der Marburger Bund Hessen fordert die hessische Landesregierung auf, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, die es den Krankenhäusern ermöglichen, technisch und personell im Bereich der Digitalisierung zu investieren.

    Anpassung des IT-Sicherheitsgesetzes

    Der Marburger Bund Hessen fordert die hessische Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, den Schwellenwert von 30.000 Behandlungsfällen pro Jahr für die Einstufung von Krankenhäusern als „kritische Infrastruktur“ im Sinne des IT-Sicherheitsgesetzes zu streichen.

    Nutzennachweis für Gesundheits-Apps und -software auf Verordnung

    Der Marburger Bund Hessen appelliert an den Bundesgesundheitsminister, bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten digitaler Anwendungen nicht die Grundprinzipien der Medizin außer Kraft zu setzen.

    1. Wenn Gesundheits-Apps zu Lasten des Solidarsystems verordnet werden können, müssen Sie sowohl nachweisen, dass Sie nicht schaden (primum nil nocere) als auch, dass ein Nutzen für die Patienten vorliegt.

    2. Für professionelle MedizinApps mit valider Datenerhebung, Nutzen und gutem Datenschutz muss ein zertifizierter Distributionskanal eingerichtet werden und nur die dort verfügbaren Apps dürfen durch Versicherungsgelder finanziert werden. Nur wenn die Ärztin / der Arzt das Herunterladen aus so einem professionellen App-Kanal empfehlen kann, sind auch die Haftungsfragen geklärt und werden nicht in das individuelle Arzt-Patienten-verhältnis übertragen.

    3. Patienten müssen darüber informiert werden, dass jedes Update Veränderungen der Datenschutzerklärungen mit sich bringen kann.

    Nein zur Landarztquote in Hessen

    Der Marburger Bund Hessen spricht sich vehement gegen die Einführung einer Landarztquote im Auswahlverfahren der Medizinstudierenden in Hessen aus. Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten lässt sich ausschließlich durch eine erhebliche Erhöhung der Medizinstudienplätze (sofort um wenigstens 10%) bekämpfen.

    Patientenorientierung statt Kommerzialisierung

    Der Marburger Bund Hessen appelliert an alle Ärztinnen und Ärzte wie auch an alle anderen Entscheider im Gesundheitswesen auf Landes- und Bundesebene: Die bestmögliche Gesundheitsversorgung der Patienten muss als primäres Ziel im Vordergrund aller Entscheidungen stehen.

    Anwenderfreundliche Software

    Der Marburger Bund Hessen fordert, Software für (medizinische) Anwendungen durch ein entsprechendes Konzept und Design so zu gestalten, dass sie die Anwenderinnen und Anwender tatsächlich effizient unterstützt und nicht behindert (engl. Usability). Maßstab soll sein: „Nicht Anwender sind an die Software zu adaptieren, sondern die Software an die Anwender“.

    Abschaffung der Zusatzbezeichnung Homöopathie

    Der Marburger Bund Hessen spricht sich für eine Abschaffung der Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ in der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Hessen aus.

    Ermittlung von transparenter Diskussion von IVENA-Daten

    Der Marburger Bund Hessen fordert die hessische Landesregierung auf IVENA-Daten über die Häufigkeit von Bettenabmeldungen und Intensivkapazitäten gebietsbezogen summarisch der Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen.

    Die Politik muss sich einem objektiven Maßstab zur Bedarfsplanung stellen. Dieser muss eine ausreichende Versorgung auch in Zeiten mit erhöhtem Krankheitsaufkommen gewährleisten.