Drohen aus Lieferengpässen künftig Versorgungsengpässe zu werden? Die Bundesvorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, warnt davor, die Situation zu unterschätzen: „Wir sind erpressbar, wenn ein Hersteller droht, ein Medikament wie Metformin vom europäischen Markt zu nehmen, für das es keine wirkliche Alternative gibt. Das muss uns Sorgen machen und zwingt uns zu einem Umdenken. Denn am Ende geht es um die Versorgung von Patientinnen und Patienten.“ Der Marburger Bund setze sich daher mit Nachdruck für politische Maßnahmen ein, die Versorgungssicherheit gewährleisten: „Unser Interesse als Marburger Bund ist, dass unsere Kolleginnen und Kollegen nicht permanent mit diesem Engpassproblem in der Versorgung konfrontiert werden. Deshalb setzen wir uns für Lösungen im Interesse der Patienten ein.“
Wie komplex die strukturellen Ursachen sind, erläutert Dr. Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Eine Rückverlagerung der Generikaproduktion nach Europa könne massive Kostenfolgen haben: „Ich glaube, man muss sich bewusst machen, dass eine große Rückverlagerung von Generikaproduktion nach Europa sehr teuer werden könnte und dass wir dann für die 80 Prozent des Medikamentenkonsums in Deutschland sehr viel mehr Geld bezahlen müssten. Das wäre für unser Gesundheitssystem schon bedrohlich.“ Dennoch gebe es wirksame Alternativen. Zum einen brauche es eine Stärkung der multilateralen Handelsordnung und der Welthandelsorganisation, zum anderen müsse Europa einen funktionierenden gemeinsamen Arzneimittelmarkt entwickeln, „der dann auch viel mehr Verhandlungsmacht gegenüber anderen Ländern und anderen Erdteilen hätte“.
Deutliche Kritik am bestehenden Arzneimittelpreisrecht übt Dr. Paula Piechotta, MdB, Berichterstatterin für Arzneimittelversorgung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deutschland zahle „Mondpreise für Pseudo-Innovationen“. Außerdem liege die Effizienz des Gesundheitssystems deutlich hinter den enormen Kosten zurück: „Wir haben das zweitteuerste europäische Gesundheitswesen und wir haben eine Lebenserwartung, die gerade einmal im unteren Mittelfeld liegt. Es wird im deutschen Gesundheitswesen sehr viel Geld mit einem sehr niedrigen Wirkungsgrad ausgegeben im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, was nicht nur, aber auch im Bereich Arzneimittelpreise quasi ursächlich angelegt ist.“ Für echte Innovationen könne es mehr Geld geben, aber so wie das deutsche Arzneimittelpreisrecht derzeit ausgestaltet sei, „zahlen wir mehr, ohne dafür mehr Gesundheit zu bekommen“.
Aus der Sicht eines der führenden Pharmaverbände betont Michael Hennrich, Geschäftsführer Politik bei Pharma Deutschland, wie wichtig Verlässlichkeit für die Hersteller ist. Europa müsse Produktionskapazitäten stärken und Lieferketten breiter aufstellen: „Wir müssen die Pharma-Unternehmen, die noch produzieren, auch tatsächlich halten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und wir müssen eine Strategie finden innerhalb Europas und mit den Nationalstaaten, vielleicht wieder Produktionskapazitäten aufzubauen. Dazu bedarf es aber langfristiger Sicherheit. Und natürlich müssen wir dann auch schauen, wie wir die Lieferketten diversifizieren.“
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