• Dr. Wenker: „Es ist an der Zeit, dieses wichtige Zeichen zu setzen“

    Wahl BÄK-Präsidium
    28.Mai 2019
    Hannover
    Die „Richtige Kandidatin zur richtigen Zeit für das Amt der Präsidentin der Bundesärztekammer“, mit diesen Worten begründete MB-Bundesvorsitzender Rudolf Henke die Entscheidung, die Kandidatur von Dr. Martina Wenker für das Amt der Präsidentin der Bundesärztekammer auf dem 122. Deutschen Ärztetag in Münster zu unterstützen. Zu ihren Visionen, dem Arztsein der Zukunft und zum eLogbuch hat Stephanie Hübner, Pressereferentin des MB Niedersachsen, die niedersächsische Landesärztekammer-Präsidentin und BÄK-Vizepräsidentin Wenker für die MBZ interviewt.
    Präsidentschaftskandidatin Dr. Martina Wenker im MBZ-Interview. | Foto: Andreas Pagel
    Präsidentschaftskandidatin Dr. Martina Wenker im MBZ-Interview. | Foto: Andreas Pagel

    Frau Dr. Wenker, Sie kandidieren für die Präsidentschaft der Bundesärztekammer. Welche sind für Sie die drängendsten Punkte?

    Dr. Martina Wenker: Der drängendste Punkt ist für mich der Ärztemangel. Auch die Landesregierungen haben das Problem ja inzwischen erkannt. Einen Mangel kann man nicht mit Quoten bekämpfen. Deshalb fordere ich mehr Medizinstudienplätze. Und wir brauchen eine wirkliche Wertschätzung ärztlicher Tätigkeit durch vernünftige Arbeitsbedingungen für Ärzte.

    Immer wieder werde ich gefragt: Wieso fordert Ihr denn bei steigenden Arztzahlen noch weitere Medizinstudienplätze? Das ist ja kein Selbstzweck! Wir haben auch steigende Behandlungsbedarfe. Allein die konsequente Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes seit 2006 bedeutet, dass wir viel mehr Köpfe brauchen. Wir haben eine immer kürzere Verweildauer in den Krankenhäusern und eine höhere Dichte von Patienten in den Praxen.

    Wir sollen die Gesundheitsversorgung von Patienten sicherstellen und das können wir nur mit Ärzten. Ansonsten können wir die ärztliche Versorgung nicht mehr gewährleisten.

    Was mich auch sehr beschäftigt: Wie wird es weitergehen mit der Selbstverwaltung der freien Berufe? Es gibt immer noch Krankenhausärzte mit Arbeitsverträgen, die ökonomische oder finanzielle Erlöse als Zielvereinbarungen beinhalten. Das hat mit der Freiheit des Arztberufes nichts zu tun. Wir müssen für den Erhalt des freien Arztberufes kämpfen. Ich bin unabhängig in meiner medizinischen Entscheidung. Das ist das Fundament einer vernünftigen und vertrauensvollen Patient-Arzt-Beziehung.

    Sollten Sie gewählt werden, was haben Sie sich vorgenommen?

    Dr. Wenker: In Niedersachsen arbeiten wir sehr gut über alle Gruppen hinweg in der Kammerversammlung zusammen. Wir sind mit Hausärzten, Fachärzten, angestellten Ärzten im Krankenhaus und – ganz wichtig – im öffentlichen Gesundheitsdienst und auch mit allen anderen Gruppen in einer Kammerversammlung, die sich durchaus kontrovers auseinandersetzt, aber Beschlüsse dann sehr einvernehmlich fasst.

    Es ist ein wichtiges Signal hier mit einer Stimme zu sprechen und ich will darauf hinarbeiten, dass wir das auf Bundesebene auch wieder mehr schaffen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass Verbände und Körperschaften etwas unterschiedliche Kurse fahren. Das ist normal und auch legitim.

    Aber ich möchte mich in den nächsten vier Jahren dafür einsetzen, dass wir diese unterschiedlichen Sichtweisen intern ausdiskutieren. Und nach außen mit einer Stimme sprechen.

    Der Ärztetag wird sich mit dem Arztsein in der Zukunft beschäftigen. Wie stellen wir die richtigen Weichen?

    Dr. Wenker: Das Hauptthema wird sein: Wenn die Arbeit krank macht. Es sind ja nicht nur die Ärzte im Krankenhaus, die sagen: Wir können nicht mehr. Mit ebenso großer Sorge erfüllt mich, dass viele ältere Kolleginnen und Kollegen sagen: Lieber heute als morgen möchte ich aufhören zu arbeiten. Ich möchte die Praxis abgeben.

    Nur gesunde und ausgeruhte Ärzte können kranken Menschen helfen. Wir haben schon viele Praxen im ländlichen Raum nicht mehr besetzt. Wir haben einen demografischen Wandel mit immer mehr älteren Patienten. Gleichzeitig ist der medizinisch-technische Fortschritt mit immer mehr Möglichkeiten immens, so dass jede Ärztin und jeder Arzt in der kurativen Patientenversorgung gebraucht wird. Und ausgerechnet in diesem Bereich sind Ärztinnen und Ärzte in Praxen und Kliniken inzwischen völlig ausgepowert.

    Hier brauchen wir spürbare Gegenmaßnahmen: Wir müssen unsere Resilienz stärken und benötigen alle Möglichkeiten uns selbst gesund zu halten. Wir wollen diesen schönen Beruf ja alle gerne machen.

    Wie soll das aus Ihrer Sicht erreicht werden?

    Dr. Wenker: Der Ärztetag wird u.a. drei Dinge fordern: Wir brauchen Arbeitsschutz-Regelungen, einschließlich Arbeitszeitgesetz, die uns, egal wo wir tätig sind, erlauben, dass wir uns auch mal erholen können. Wir brauchen Personalschlüssel in der Praxis, in der Klinik, die es uns erlauben, dass wir zu jeder Zeit unsere Patienten gut versorgen können. Und wir müssen endlich von den gesamten patientenfernen Tätigkeiten, der Bürokratie, entlastet werden. Dann hätten wir wieder genug Zeit für die ärztlichen Tätigkeiten, für die wir Ärztinnen und Ärzte geworden sind.

    Der Ärztetag befasst sich auch mit dem elektronischen Logbuch (eLogbuch). Wie nutzen wir Chancen, die sich durch die Dokumentation der Weiterbildung ergeben?

    Dr. Wenker: Die nutzen wir am allerbesten, indem wir den Marburger Bund besonders in den Ärztekammern stark machen.

    Wir wollen in den Landesärztekammern im Laufe dieses Jahres die neue Weiterbildungsordnung umsetzen. Die ist gut, viele Kolleginnen und Kollegen auch vom Marburger Bund haben daran mitgearbeitet. Den Wunsch nach einer modernen, kompetenzbasierten Weiterbildung haben wir umgesetzt. Im eLogbuch muss das jetzt konkretisiert werden.

    Das ist natürlich ein großes IT-Projekt, das einheitlich in allen 17 Kammern so umgesetzt werden muss, dass es möglichst schnell gelingt. Dann gibt es die Chance, diese gute neue Weiterbildungsordnung mit Leben zu füllen. Das eLogbuch wird die Weiterbildungswelt ein bisschen revolutionieren. Es wird deutlich mehr Transparenz und Klarheit bringen und eine deutlich höhere Verbindlichkeit, dass die sich Weiterbildenden die Inhalte und die festgeschriebenen Kompetenzen erlernen und nicht nur als „Fließbandarbeiter“ auf Station verbraucht werden.

    Sie sprachen eingangs die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte an. In den aktuellen Tarifrunden ist dies ein zentrales Ansinnen des MB. Wie sehen Sie das? 

    Dr. Wenker: Wir sind 2006 auf die Straße gegangen, weil wir keine 36-Stunden-Schichten mehr machen wollten. Das war der Hauptgrund für unsere ersten Ärzte-Streiks. Wir haben gedacht, eine solche gewaltige Streikbewegung wird es beim Marburger Bund in den nächsten Jahrzehnten nicht wieder geben. Ich bin beeindruckt und gleichzeitig erschüttert, dass bei der jüngsten VKA-Auseinandersetzung jetzt noch viel mehr Ärztinnen und Ärzte auf die Straße gegangen sind. Der Druck ist noch viel größer geworden. Alles, was wir meinten, erreicht zu haben – und das war damals ja schon viel –, ist offensichtlich inzwischen Makulatur. In den letzten Wochen sind mehr als 10.000 Ärzte in den Warnstreik getreten – das ist rund jeder fünfte, der im kommunalen Bereich tätig ist.

    Als MB fordern wir eine manipulationsfreie Zeiterfassung. Ja, natürlich, was denn sonst!? Ich höre immer wieder aus Krankenhäusern: Ich erfasse die Zeit und hinterher sagt ein „Zeitwart“: Die Hälfte Deiner Überstunden streichen wir Dir weg. Dann brauche ich auch keine Zeiterfassung zu machen. Außerdem müssen planbare Dienste her. Ärzte haben Familie, kleine Kinder, der Partner ist vielleicht auch im Krankenhaus oder woanders tätig. Es ist doch selbstverständlich, dass ich ein paar Wochen vorher wissen muss, wann ich Dienst habe, weil ich meine Familie organisieren muss und sie ab und zu mal sehen möchte.

    Ebenso müssen zwei freie Wochenenden her. Und das meint tatsächlich Wochenende und nicht erst ab Samstagmorgen nach einem Nachtdienst bis Sonntagabend vor dem nächsten Nachtdienst.

    Dass man wegen solcher Selbstverständlichkeiten auf die Straße gehen muss, zeigt, wie groß der Druck und wie immens die Arbeitsbelastung ist. Hier kann ich nur sagen: Respekt vor dieser Ärzte-Generation, vor diesen Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen alle gemeinsam dafür streiten, dass sich Arbeitsbedingungen deutlich verbessern!

    Abschließend noch eine Frage zur Präsidiumswahl: Ist es Zeit für eine Frau an der Spitze der deutschen Ärzteschaft?

    Dr. Wenker: Ich fand es sehr klug, dass 2016 die Hauptversammlung des Marburger Bundes in Hamburg nicht nur eine Quote für den Bundesvorstand beschlossen hat, sondern gesagt hat: Wir wollen Ärztinnen und Ärzte gleichmäßig repräsentieren.

    Deswegen bin ich so gerne seit Jahrzehnten Mitglied im MB. Ich habe hier nie das Gefühl gehabt, dass Frauen nicht gefördert werden. Der MB hat sich eigentlich schon immer, seitdem ich junge Ärztin in der Weiterbildung war, riesig gefreut, wenn wir Ärztinnen uns engagiert haben und uns ermöglicht, im Verband auch in Führungspositionen zu gelangen.

    Daher freue ich mich ganz besonders, dass der MB jetzt meine Kandidatur unterstützt. Ich habe in den letzten Wochen von vielen die Rückmeldung bekommen: Es ist ein wichtiges Signal, als Frau zu kandidieren, als Ärztin.

    Allerdings frage ich mich immer wieder: Wir sind genauso aus-, weiter- und fortgebildet wie unsere männlichen Kollegen. Wir leisten Tag für Tag die gleiche Arbeit am Krankenbett, in der Praxis, in der Klinik. Warum sollen wir in der Selbstverwaltung nicht die gleiche Rolle spielen? Daher glaube ich: Es ist an der Zeit, dieses wichtige Zeichen zu setzen.

    Frau Dr. Wenker, vielen Dank für das Gespräch.