• „Gute Lehre und Ausbildung sollten keine Utopie in Deutschland sein“

    Deutschlandstipendium an der MHH
    01.Juni 2022
    Hannover
    Im Studienjahr 2021/22 zählt der Marburger Bund Niedersachsen im Rahmen des Deutschlandstipendiums bereits zum dritten Mal zu den Förderern besonders engagierter angehender Ärztinnen und Ärzte an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Wir haben mit Jan Tauwaldt, unserem diesjährigen Stipendiaten, gesprochen.
    Als IT-Referent im AStA konnte Deutschlandstipendiat Jan Tauwaldt gerade unter Corona wichtige Entwicklungen anstoßen und umsetzen. Foto: AStA der MHH / Chiara Heller
    Als IT-Referent im AStA konnte Deutschlandstipendiat Jan Tauwaldt gerade unter Corona wichtige Entwicklungen anstoßen und umsetzen. Foto: AStA der MHH / Chiara Heller

    Herr Tauwaldt, bitte erzählen Sie uns etwas über sich. Wie engagieren Sie sich? Und was hat Sie zur Medizin gebracht?

    Mein Name ist Jan, ich bin 23 Jahre alt und studiere im 10. Fachsemester Humanmedizin an der MHH. Seit Beginn meines Studiums engagiere ich mich auf dem Campus: Zunächst übernahm ich in Projektgruppen die Veranstaltungstechnik und organisierte selbst Events. 2018 wurde ich dann IT-Referent im AStA, dem allgemeinen Studierendenausschuss der MHH. Nach dreieinhalb Jahren Dienstzeit arbeite ich nun vor meinem PJ noch meine Nachfolge ein.

    Mich hat stets motiviert, dass ich mit meinem Engagement direkt Entwicklungen an der MHH anstoßen konnte, in der Studierendenschaft und auch darüber hinaus. Das war besonders wichtig zu Corona-Zeiten: Gerade, wenn keine Veranstaltungen in Präsenz stattfinden konnten, musste man schnell etwas auf die Beine stellen. Wir hosten Konferenztools für Sitzungen und sind jetzt auch mit Podcasts und Livestreams im www unterwegs. So können wir die Studierenden weiterhin erreichen, auch wenn es wegen Corona keine oder nur eingeschränkt Veranstaltungen vor Ort geben kann. Was mir immer am wichtigsten war: der direkte Austausch mit den anderen Referent*innen und der Studierendenschaft. Das IT-Referat hat eigene Projekte, aber es ist zudem ein Referat, das sich bei allen anderen einklinken kann, weil jeder mal IT-Unterstützung braucht. So kann man viele interessante Einblicke bekommen.

    Die Motivation für das Medizinstudium kam primär aus meinem Elternhaus, wobei es zunächst durch meinen Vater als Bio- und Chemielehrer in Richtung Naturwissenschaften ging. Durch meine Mutter als Stationsassistentin habe ich Einblick in den Krankenhausalltag in Celle bekommen. Ich habe mich dann für Pharmazie interessiert, absolvierte dort auch ein Pflichtpraktikum, kam aber schlussendlich zur Humanmedizin und war sehr froh, nach dem Abitur an der MHH einen Studienplatz zu bekommen.
     

    Was bedeutet das Stipendium für Sie?

    Primär bedeutet es, dass ich weniger HiWi-Jobs machen muss, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und ich bin freier in der Auswahl, was die Arbeitsbedingungen angeht. Die Zeit, die dadurch frei wird, kann ich in mein Studium, mein Engagement auf dem Campus oder in meine Promotion investieren - oder einfach auch mal entspannen. Auch für meine Interessen außerhalb des Campus bleibt etwas Geld übrig, zum Beispiel für neue Hardware oder Lizenzen.
     

    Sie sind studentisches Mitglied beim Marburger Bund Niedersachsen. Wo begegnet Ihnen der Verband in Ihrem Uni-Alltag?

    Hochschulpolitisch ist mir der Einsatz des Marburger Bundes beim Warnstreik im Zuge der TDL-Verhandlungen in guter Erinnerung und aus der Corona-Zeit vor allem durch das gemeinsame Engagement für die Anerkennung von Pflegepraktika und Famulaturen. Hier haben AStA und Marburger Bund eng zusammengearbeitet.

    Mir ist der Marburger Bund auch bekannt durch die Kooperation mit der bvmd, der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland und durch regelmäßige Anzeigen in unserer studentischen Hochschulzeitung, der „curare“. Zudem weiß ich, dass der Marburger Bund an unserer Hochschule eine Reihe von studentischen Aktivitäten fördert – wie die Initiative „Aufklärung gegen Tabak“, die Medi-Meisterschaften oder auch die Studienfahrt nach Auschwitz, auch wenn ich selbst an diesen Dingen noch nicht teilnehmen konnte.  
     

    Welche Themen sind Ihnen mit Blick auf Ihr Studium in Zeiten von Corona besonders wichtig? Welche Herausforderungen sehen Sie?

    Die Lehre hinkt in Sachen Digitalisierung in vielen Fächern nicht nur optisch jahrelang hinterher. Dies gilt nicht nur für die MHH, sondern für Deutschland allgemein. Mit dem Lockdown kam für einige der Schock des Systems. Es kann doch nicht sein, dass der Upload einer Vorlesung in unser Online-Lernsystem bereits die größte Herausforderung für Dozierende ist. Wobei es zum Glück auch die andere Seite gibt: Viele Dozierende sind wirklich engagiert. Personalmittel wurden ausgegeben und teils große Herausforderungen gemeistert.

    Beim Unterricht am Krankenbett gab es auch Einbußen, teilweise coronabedingt, aber man merkt, dass schon vor der Pandemie die Lehre aufgrund der knappen Personal- und Zeitkontingente auf den Stationen definitiv zurückstand. Diese Situation wurde jetzt durch weitere Dokumentationspflichten, Patiententests und zusätzlichen Stress für Stationsärzt*innen noch erschwert. So wurden wir teilweise einfach von Stationen weggeschickt und konnten keine Lehre bekommen. Andere Bereiche haben während Corona gar keine Patientenkontakte für uns Studierende erlaubt.

    Deutlich wurde in den letzten zwei Jahren leider auch, welchen niedrigen Stellenwert Studierende und insbesondere PJler in der Gesundheitshierarchie aufweisen. So war anfangs unklar, ob Studierende im PJ in peripheren Häusern überhaupt eine Impfung erhalten. Bei der ersten Impfwelle musste erst Überzeugungsarbeit geleistet werden, dass auch die PJler, die in der Notaufnahme arbeiteten, bevorzugt geimpft werden konnten. Auch die Anerkennung von den Corona-Einsätzen im Medizinstudium war politisch zwar groß angekündigt worden, aber die Taten ließen dann lange auf sich warten. Erst durch großen medialen Druck und die Kooperation zwischen dem AStA der MHH, der MHH, dem Marburger Bund und der Ärztekammer hat sich hier etwas bewegt.
     

    Gibt es sonst noch etwas, das Ihnen wichtig wäre, mitzuteilen?

    Den Ärzt*innen, die es trotz ihres vollen Arbeitsalltags noch schaffen, uns in der Lehre etwas beizubringen und sich zu engagieren, sei es am Krankenbett, im Seminar oder im Hörsaal, möchte ich sagen: Sie sind wirkliche Vorbilder für uns Studierende! Sie bleiben auch sehr gut im Gedächtnis und sorgen oftmals dafür, dass wir diese Fächer anstreben.

    Und an die Studierenden: Fordert eine gute Lehre und eine gute Ausbildung! Diese sollten in Deutschland oder in Hannover keine Utopie sein. Durch Engagement in Fachschaften, Parlamenten, Räten und ASten könnt ihr viel bewegen!
     

    Vielen Dank für das Gespräch, Herr Tauwaldt!

    Das Gespräch führte Anna Dierking, MB Niedersachsen.