• Mitglieder-Austausch

    Corona und wir
    26.Januar 2022
    Hannover
    (swa). Das Fernsehteam durfte unangekündigt auf die Station. Die Angehörigen der COVID-Erkrankten müssen draußen bleiben. „Ich kann es eigentlich nicht mehr ertragen, zu sagen: Ihr Vater wird sterben, Sie dürfen aber leider nicht herkommen“, sagt das Mitglied in der Weiterbildung merklich bewegt. Die Tätigkeit auf der Intensivstation in der Pandemie führt an emotionale Grenzen: „Ich kann nicht an einem Tag 14 Angehörigengespräche führen und mehr oder weniger heimlich jemanden durchs Fenster gucken lassen.“

    Es ist Mitte Dezember 2021, die Pandemie dauert rund 20 Monate an. Rund 15 Mitglieder sind der Einladung des Marburger Bundes Niedersachsen zu einem Online-Austausch gefolgt. Insbesondere Mitglieder aus Krankenhäusern sind vertreten. Sie berichten von Überstunden, die sich türmen, aber nicht ausbezahlt werden – abbummeln unrealistisch. Von fehlender Wertschätzung, als die viele die Handhabe in Sachen Corona-Prämie empfinden. Und von Personalmangel.

    Mancherorts haben Pflegekräfte, die mit Corona-Patienten gar nicht zu tun hatten, eine Prämie erhalten, outgesourctes Reinigungspersonal, das die Zimmer der Erkrankten putzte, hingegen nicht. Der ärztliche Dienst bleibt ohnehin außen vor. Die Ungleichbehandlung vergiftet die Zusammenarbeit der berufsgruppenübergreifenden Teams und führt zu weiteren Belastungen, die die Gesamtsituation noch mühsamer gestalten. 

    Dass viele Stellen frei bleiben, überrascht unter diesen Vorzeichen nicht. Ein Drittel der ärztlichen Stellen auf seiner Station sei unbesetzt, erzählt ein Mitglied, das an einer Uniklinik tätig ist. Die Kolleginnen, die während der Pandemie schwanger geworden seien, habe der Arbeitgeber einfach nicht ersetzt, heißt es von woanders. Andernorts müssten wegen fehlender Pflegekräfte Betten gesperrt werden. Manchem Arbeitgeber kommt es obendrein ganz gelegen, die teuren Altverträge loszuwerden. „Wenn jemand geht, wird nichts getan, die Leute zu halten“, wird berichtet. Die Neueingestellten ziehen, endlich eingearbeitet, häufig nach zwei Jahren an attraktivere Häuser weiter. Manche Stellen können mangels attraktiver Arbeitsbedingungen nicht besetzt werden. Es mutet surreal an, dass ausgerechnet während der Pandemie Stellen abgebaut werden – weil nicht der Mensch, sondern der Profit im Vordergrund steht. Der Druck auf die Verbliebenen nimmt weiter zu. Hinzu kommen Ausfälle durch Kolleginnen und Kollegen, die sich, vor allem in den ersten beiden Wellen, mit COVID-19 infiziert haben und oft einen langen Genesungsprozess bewältigen müssen.

    Die Pandemie wird auch als logistische Herausforderung erlebt. So sorgen Verzögerungen bei der PCR-Analyse für lange Ungewissheit übers Wochenende. 

    Die Folgen der Pandemie werden noch lange zu spüren sein. Denn vielerorts überhaupt nicht im Blick ist die dramatische Situation in der Aus- und Weiterbildung: „Vieles ist in Online-Seminaren einfach nicht vermittelbar“, verdeutlicht eine erfahrene Oberärztin. Viele Tätigkeiten könnten nicht digitalisiert werden, es hake zudem oft bei der Technik. Zudem verlängere sich die Weiterbildung durch verschobene Operationen und Interventionen.  

    Es werden an diesem Abend aber nicht nur Probleme gewälzt, sondern auch Forderungen artikuliert: „Wir müssen der Politik klar machen, dass es so nicht geht. Wir bekommen die Patienten nicht mehr versorgt“ und „Wir müssen nichtärztliche Aufgaben an andere Berufsgruppen delegieren können“. 

    Hans Martin Wollenberg, Erster Vorsitzender des Landesverbandes ermutigt die Mitglieder, ihre coronaspezifischen Anliegen weiter mitzuteilen: „In der wöchentlichen COVID-Schalte des Landesverbandes werden Mitglieder aus Vorstand, ÖGD und Kammerversammlung die mit der Pandemie einhergehenden Herausforderungen weiter im Blick behalten und MB-spezifische Forderungen an den geeigneten Stellen artikulieren. Für Impulse aus Niedersachsen sind wir dankbar.“