• EGMR weist Beschwerde gegen Tarifeinheitsgesetz zurück

    Pressemitteilung
    Kein Verstoß gegen Art. 11 der Menschenrechtskonvention – Sondervotum widerspricht Urteilstenor
    05.Juli 2022
    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Chance ungenutzt gelassen, in der Causa Tarifeinheitsgesetz (TEG) Rechtsfrieden herzustellen. Die Mehrheit der Richterinnen und Richter sieht in den Bestimmungen des Gesetzes keinen Verstoß gegen Artikel 11 (Vereinigungsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie aus dem heutigen Urteil hervorgeht. Der Marburger Bund hatte Ende 2017 beim EGMR Beschwerde gegen das Gesetz in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil die im TEG vorgesehene Verdrängung des Tarifvertrages einer Minderheitsgewerkschaft in unverhältnismäßiger Weise in eine Kerngewährleistung von Art. 11 Abs. 1 der Konvention eingreift.

    Der Marburger Bund nimmt das Urteil des EGMR mit Enttäuschung zur Kenntnis, ist aber nach wie vor davon überzeugt, dass das Tarifeinheitsgesetz darauf angelegt ist, gewerkschaftliche Grundrechte einzuschränken. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass zwei Richter des EGMR in einem abweichenden Votum den Beschwerdeführern Recht geben und explizit dem Urteilstenor widersprechen. In ihrem Sondervotum weisen sie darauf hin, dass die Pluralität der Gewerkschaften ein wesentliches Element jeder demokratischen Gesellschaft ist und dem Grundsatz der Demokratie entspricht, auf dem die Europäische Menschenrechtskonvention beruht.

    Wenig hilfreich ist der Hinweis der Richtermehrheit des EGMR, dass tariffähige Gewerkschaften zwar ein Recht auf Verhandlung geltend machen könnten, nicht aber ein Recht auf einen Tarifvertrag. Immerhin teilt der Gerichtshof die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Streikrecht von Minderheitsgewerkschaften im Betrieb uneingeschränkt bleiben muss.

    Die Annahme des EGMR, durch das Tarifeinheitsgesetz könne „Frieden und Solidarität in einem Betrieb“ sichergestellt werden, hält der Realität nicht stand. Das Gegenteil ist der Fall: Der im Gesetz angelegte Kampf um Mehrheiten im Betrieb erzeugt bei Anwendung der sogenannten Kollisionsregel Unfrieden in den Belegschaften.

    Der Marburger Bund und Verdi haben auf diese Gefahr bereits im Dezember 2017 reagiert und vereinbart, durch eine in allen Kollisionsfällen wirksame tarifdispositive Abrede zu verhindern, dass der Tarifvertrag der jeweils anderen Gewerkschaft durch eine etwaige Mehrheitsfeststellung im Betrieb verdrängt werden kann. Seitdem hat der Marburger Bund mit allen großen Krankenhausträgern – ob öffentlich oder privat – entsprechende Tarifsicherungsklauseln vereinbart, die dazu dienen, Tarifpluralität und Betriebsfrieden in den Krankenhäusern im Einklang zu halten.

    Angesichts der fortbestehenden Probleme, die das Tarifeinheitsgesetz für Mitglieder tariffähiger Gewerkschaften aufwirft, und der damit verbundenen Konflikte in den Betrieben, bekräftigt der Marburger Bund seine Forderung nach Abschaffung des Gesetzes.