• Ausgebremst

    Umfrage: Weiterbildung und Familie
    21.Juli 2022
    Hannover (swa).
    Irgendwie soll alles unter einen Hut: die Weiterbildung. Die Familie. Von einem Leben außerhalb dieser Verpflichtungen – berufspolitisches Engagement, Ehrenamt, Hobbys? – oder persönlichen Atempausen ganz zu schweigen. In einer jüngst durchgeführten Umfrage des Marburger Bundes Niedersachsen vergeben ein Drittel der Befragten auf die Frage, wie gut sie Weiterbildung und Klinikalltag mit Familie bzw. Kindern vereinbaren können, die Schulnoten Ungenügend oder Mangelhaft. Nur rund 11 Prozent bewerten dies mit einem Sehr gut oder Gut.
    Berufliche Rahmenbedingungen bremsen Weiterbildung aus

    Schuld an diesem erschreckenden Ergebnis ist aber nicht unbedingt der Umstand, dass das Kümmern um Familienmitglieder jedes Alters Zeit und Nerven braucht. Wer selbst schon einmal in der Situation gesteckt hat, weiß, dass angesichts der ein oder anderen „Überraschung“ – Kind krank, akuter Hilfebedarf bei pflegebedürftigem Elternteil, … – auch das größte Organisationstalent an Grenzen gerät.

    Stattdessen sind es die Rahmenbedingungen im beruflichen Umfeld, die die Weiterbildung ausbremsen. Neben den Strukturen liegt das Problem vielerorts bei den verantwortlichen Personen. Über 40 Prozent geben an, durch Kinder in der Weiterbildung Benachteiligung erlebt zu haben. Rechnet man aus der Gesamtheit der Antworten diejenigen heraus, die keine Kinder haben, sind es sogar 65 Prozent, die benachteiligt wurden.

    Ernüchternde Antworten

    Wir veröffentlichen hier Auszüge aus der Fülle von Antworten, die ernüchternde Einblicke offenbaren und Handlungsbedarf aufzeigen. Der Marburger Bund Niedersachsen wird sich an allen ihm möglichen Stellen für positive Veränderungen einsetzen.

    Rechtsanwältin Sarah Steenken, MB Niedersachsen, berichtet: „Um Familie und Beruf unter einen Hut bringen zu können, sehen wir vermehrt den Wunsch Arbeitszeit zu reduzieren. Die entsprechenden Anträge sind an Ihren Arbeitgeber zu richten. Lassen Sie sich nicht entmutigen, falls Ihr*e Chef*in Ihnen mündlich mitteilt, ‚es sei zurzeit nicht möglich‘. Gerne beraten wir Sie bereits bei der Antragsformulierung.“

    Lassen Sie sich beim MB beraten

    Ihre Kollegin Rechtsanwältin Anja Uhe ergänzt: „In der anwaltlichen Beratung wird mir immer wieder die Sorge zugetragen, im Falle einer Schwangerschaft und Elternzeit die Weiterbildung nicht ordnungsgemäß abschließen zu können. Mein Tipp: Sie befinden sich in der Weiterbildung, sind schwanger oder in der Elternzeit? Melden Sie sich bei uns und wir beraten Sie gerne zu den Möglichkeiten, Ihre Fehlzeiten nachzuholen.“

    Befragt wurden die niedersächsischen MB-Mitglieder in der Weiterbildung bis einschließlich 40 Jahre. Die Beteiligung war mit 360 Antworten äußerst erfreulich. Allen, die sich beteiligt haben, auf diesem Weg ein herzliches Dankeschön!

    Welche Benachteiligungen haben Sie erlebt?
    • Während Elternzeit vom Rotationsplan verschwunden. Jede nötige Rotation musste in der Folge erkämpft werden.
    • Verkürzung der Arbeitszeiten hat mir eine Strafe eingebracht: Ich durfte nicht mehr in den OP-Saal.
    • Es wurde das selbe Arbeitspensum bei reduzierter Arbeitszeit verlangt.
    • Weiterbildung ist neben dem Stationsalltag häufig nur durch Eigenengagement möglich, das bedeutet, man geht an freien Tagen in den Ultraschall oder vor dem Spätdienst in die Endoskopie. Möchte man freie Tage mit den Kindern verbringen, verlangsamt sich die Weiterbildung.
    • Mir und auch Kolleginnen wurde gedroht, dass die Weiterbildungszeit nicht angerechnet wird, wenn man entsprechend des Mutterschutz-Gesetzes während der Stillzeit keine Nachtdienste leistet.
    • Ich finde die Umrechnung von Teilzeitarbeit in der MWBO per se ungerecht. Eine 1:1-Umrechnung entspricht keiner inhaltlichen Realität. Ich bin mittlerweile 7 Jahre ärztlich tätig und brauche immer noch zwei Jahre für die „Facharztreife“. Kollegen, Oberärzte und ich selbst erleben es aber so, dass ich diese inhaltlich längst erreicht habe.
    • Ich habe an meiner vorherigen Arbeitsstelle 3 x einen für nur 6 Monate befristeten Arbeitsvertrag gehabt, natürlich begründet das niemand offiziell mit Teilzeit/Kindern, aber ich frage mich, warum keiner meiner kinderlose Kollegen eine solche Anstellung hatte.
    • Mir wurde direkt von meinem Chef gesagt, dass ich nun als Teilzeit-Beschäftigte mit Kind keine Priorität mehr in der Abteilung habe und mich "ganz hinten anstellen" muss. Ich wurde nicht mehr über Forschungsprojekte informiert/einbezogen.

    Welche Unterstützungsangebote gibt es?
    • Gute Teilzeitmodelle.
    • Hilfe bei Krippenplatzsuche.
    • Betriebseigene KiTa, Ferienbetreuung für die Schulkinder, Notbetreuung.
    • Übernahme der gesamten Krippenkosten durch meinen Chef in der ambulanten Weiterbildung Allgemeinmedizin.
    • Entgegenkommen von CA und lt. OA im Hinblick auf die Arbeitszeitgestaltung (insbesondere bei spontan verkürzten Kita-Öffnungszeiten durch Covid).
    • Mein aktueller AG ist eine ambulante Praxis. Hier gibt es keine Diskussion. Wunscharbeitszeiten!
    • Möglichkeit zum Homeoffice, Väterbeauftragter.
    • Theoretisch familienfreundliche Arbeitszeiten. Wenn diese genutzt werden, darf man dann aber gar nicht mehr in den OP.
    Was wünschen Sie sich, um Weiterbildung und Elternzeit besser vereinbaren zu können?
    • Familienfreundliche Arbeitszeiten, weniger Dienste.
    • Ein standardisiertes Curriculum, welches von vornherein definiert, wann z. B. welche Rotation ansteht. Somit langfristig bessere Planbarkeit für Familien.
    • Verlässliche Dienst- und Arbeitszeiten.
    • Anerkennung von 6 Wochen des Mutterschutzes als Ausbildungszeit analog zu 6 Wochen Krankheit. Anerkennung, dass auch in Teilzeit Arbeitende in ihrer Arbeitszeit das gleiche leisten können, wie unsere Vollzeit-Kollegen.
    • Keine Nachtdienste für Eltern von kleinen Kindern.
    • Ich wünsche mir Unterstützungsangebote durch den Arbeitgeber, da ich auch gerne Kinder hätte, darauf aber aktuell verzichte, da ich dies mit meinem Beruf ohne Großeltern vor Ort nicht gestemmt bekomme.
    • Dass es besser akzeptiert wird. Man hat ein schlechtes Gefühl Elternzeit zu nehmen, weil die Arbeit an den restlichen Kollegen überlassen wird. Stellen müssen geschaffen werden, so dass Arbeiten in Teilzeit und Elternzeit mehr zur Normalität gehört.
    • Anerkennung von Teilzeitarbeit auch unter 50 % für die Weiterbildung, dass die komplette Weiterbildung in Teilzeit möglich ist,
    • Mehr Möglichkeiten in digitaler Form und Unterstützungsangebote durch den Arbeitgeber.
    • Flexiblere Arbeitszeitmodelle, Jobsharing, Förderung auch mit Kind/Kindern, dass erhöht ja auch dich Motivation beim Arbeitgeber zu bleiben
    • Mehr Akzeptanz von längerer Elternzeit für die Väter.
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    Kommentar von Andreas Hammerschmidt, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen