• Wegmarken in der Geschichte des Marburger Bundes

    Im Juli 1947 treffen sich junge Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende in der Universität Marburg. Es geht um das Recht auf bezahlte Arbeit und eine solide Aus- und Weiterbildung. Schnell wird allen Beteiligten klar: Wir brauchen eine eigene Interessenvertretung, eine Gewerkschaft, die bessere Arbeitsbedingungen erkämpft. Das ist die Geburtsstunde des Marburger Bundes. Die Wegmarken unserer 75-jährigen Verbandsgeschichte zeigen: Wir haben viel erreicht – und wollen gemeinsam noch mehr bewegen.
    Fotozeitleiste 60 Jahre MB

    1. Wegmarke:

    Ganz am Anfang stehen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen für junge Ärzte (m/w/d) und ihre materielle Not. Viele arbeiten als „Volontärärzte“ oder „Gastärzte“ und erhalten meist nur ein Taschengeld oder lediglich Verpflegung. Der Unmut gärt. Nach vielen informellen Kontakten treffen sich Mitte Juni 1947 erstmals Jungärzte und Medizinstudenten in Marburg – es ist die Geburtsstunde des heutigen Verbandes angestellter Ärztinnen und Ärzte. Für die Initiatoren steht fest, dass sie einen selbstständigen Verband brauchen, der ihre wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Interessen wahrnimmt. Nach weiteren Treffen nimmt der Marburger Bund Gestalt an. Der Bundesverband hat fortan seinen Sitz in Köln.

    2. Wegmarke:

    Der Marburger Bund klagt vor dem Bundesverfassungsgericht und bekommt Recht: Durch das Karlsruher „Kassenarzturteil“ vom 23. März 1960 wird die Niederlassungsfreiheit für Ärzte im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erreicht. Bereits im Jahr 1951 hatte der Verband Verfassungsbeschwerde gegen die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit eingelegt und die Berufsfreiheit in Artikel 12 des Grundgesetzes geltend gemacht. Für die vielen Ärzte, die damals in den 1950 und 1960er Jahren im Krankenhaus keine Anstellung finden, ist die Niederlassung die einzige Möglichkeit, ärztlich tätig zu sein.

    3. Wegmarke:

    Ende der 1960er Jahre nimmt die Kritik der Ärzte am Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst stetig zu. Die angestellten Ärzte sehen sich stark benachteiligt, ihre spezifischen Arbeitsbedingungen werden nicht berücksichtigt. Der Marburger Bund kündigt schließlich zum 30. November 1969 den Tarifvertrag und fordert die sofortige Angleichung der Arbeitszeiten. Es kommt zu ersten Arbeitskampfmaßnahmen. Die Streikaktionen werden von Solidaritätsbekundungen anderer Ärzteverbände begleitet. Nach drei Verhandlungsrunden mit den öffentlichen Arbeitgebern werden 1972 wesentliche Verbesserungen für die Ärztinnen und Ärzte vereinbart.

    4. Wegmarke:

    Das Jahr 1990 steht für den Marburger Bund ganz im Zeichen der deutschen Vereinigung. Der Marburger Bund knüpft intensive Kontakte zu regionalen Ärzteorganisationen in der DDR. Repräsentanten des Marburger Bundes reisen wochenlang durch die DDR, um zu informieren, zu beraten und zusammenzuführen. Im Laufe des Jahres 1990 gründen sich schließlich neue Landesverbände im Osten der Republik. Der Gesamtverband besteht seitdem deutschlandweit aus 14 Landesverbänden.

    5. Wegmarke:

    Seit Jahren kämpft der Marburger Bund dafür, dass Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anerkannt wird und nicht weiter als Ruhezeit gilt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) unterstützt im Oktober 2000 die entsprechende Position spanischer Klinikärzte. Der Druck auf die deutsche Bundesregierung, das Arbeitszeitgesetz im Sinne des europäischen Rechts zu ändern, wächst. In einem vom Marburger Bund unterstützten Verfahren schafft der EuGH im September 2003 endgültig auch für Deutschland arbeitsrechtliche Fakten: Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit. Nach einer Übergangszeit tritt schließlich das neue Arbeitszeitgesetz im Januar 2007 in Kraft.

    6. Wegmarke: 

    Im Frühjahr 2005 organisieren vor allem jüngere Ärztinnen und Ärzte erste Protestversammlungen gegen den geplanten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Die Besonderheiten der ärztlichen Berufslaufbahn und der ärztlichen Berufsausübung finden in dem neuen Tarifwerk kaum Berücksichtigung. Der Marburger Bund kann unter diesen Umständen dem Verhandlungsergebnis nicht zustimmen. In einer Sonderhauptversammlung beschließt er im September 2005 einen kompletten Neuanfang in der Tarifpolitik: Die Verhandlungsgemeinschaft mit Verdi wird aufgekündigt, die Arbeitgeber werden zu direkten Verhandlungen mit dem MB aufgefordert. Nach wochenlangen Ärztestreiks im Frühjahr 2006 gelingt es, für die Ärzte in den Unikliniken und in kommunalen Kliniken arztspezifische Tarifverträge abzuschließen. Der Marburger Bund etabliert sich als anerkannte Ärztegewerkschaft und eigenständiger Tarifakteur.

    7. Wegmarke:

    Am 4. Juni 2010 gehen die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit einer gemeinsamen Gesetzesinitiative an die Öffentlichkeit: Im Tarifvertragsgesetz soll festgelegt werden, dass zukünftig nur der Tarifvertrag anwendbar ist, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Der DGB will die lästigen Berufsgewerkschaften als Konkurrenten loswerden, die Arbeitgeberverbände wollen keine Extratouren mehr. Der Marburger Bund steht im jahrelangen Abwehrkampf gegen die Idee von gesetzlich verordneten Einheitstarifverträgen in vorderster Reihe und geht bis nach Karlsruhe, um dem 2015 beschlossenen Gesetz zur Tarifeinheit den Zahn zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil 2017 klar, dass das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaft unangetastet bleibt und die Möglichkeit besteht, die Wirkung des Gesetzes durch Vereinbarungen mit Arbeitgebern und der konkurrierenden Gewerkschaft abzuwenden. Am 1. Dezember 2017 vereinbaren Verdi und Marburger Bund, dass ihre Tarifverträge gegenseitig nicht verdrängt werden können.

    8. Wegmarke:

    In Tarifverhandlungen muss der Marburger Bund eher selten zum Arbeitskampf aufrufen. Lange Jahre sind keine Streiks notwendig. Erst im Frühjahr 2019 ruft der MB an kommunalen Kliniken zu Warnstreiks auf. Den Auftakt macht am 10. April eine zentrale Kundgebung auf dem Römerberg in Frankfurt/M., wo sich mehr als 5.000 Ärztinnen und Ärzte versammeln. In der fünften Verhandlungsrunde gelingt schließlich der Durchbruch: Der Marburger Bund einigt sich mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände am 22. Mai 2019 auf einen wegweisenden Tarifabschluss: Der Einstieg in eine bessere Arbeitszeitgestaltung ist geschafft, die Arbeitsbelastung wird durch neue Obergrenzen bei den Bereitschaftsdiensten reduziert. Der Anspruch auf mindestens zwei arbeitsfreie Wochenenden im Monat ist tarifvertraglich geregelt. Die Erfassung der Arbeitszeit muss elektronisch oder auf andere Art mit gleicher Genauigkeit erfolgen. Dabei gilt die gesamte Anwesenheitszeit der Ärztinnen und Ärzte als Arbeitszeit.

    Ausblick:

    Gegründet im Jahr 1947 von jungen Ärzten und Medizinstudierenden, ist der Marburger Bund heute mit rund 131.000 Mitgliedern Deutschlands größter Ärzteverband und einzige Ärztegewerkschaft.