• Kultursensible Kommunikation in der Patientenversorung

    Interview zum MB-Sachsen Seminar
    21.November 2025
    Ärztinnen und Ärzte treffen in ihrem Arbeitsalltag regelmäßig auf Menschen, deren Traditionen, Vokabular oder Vorstellungen in Bezug auf Gesundheit, Krankheit und Tod sich aus kulturellen oder religiösen Gründen von den eigenen unterscheiden. Wie sich Ärztinnen und Ärzte mit dem Thema „Kultursensible Kommunikation“ auseinandersetzen können, erklärt Dr. Saskia Metan, Koordinatorin des Klinischen Ethik-Komitees am Universitätsklinikum Dresden, Kulturwissenschaftlerin und Ethikberaterin im Gesundheitswesen (AEM), im Interview mit Kristin Dolk, Referentin Verbandskommunikation im MB Sachsen.
    Frau Dr. Metan, Was ist mit kulturellen Unterschieden und kultursensibler Kommunikation in der Medizin gemeint?

    Dr. Saskia Metan: Kulturelle Hintergründe beeinflussen unsere Glaubens- und Wertvorstellungen, aber auch die Art und Weise, wie wir kommunizieren. In der Arzt-Patienten-Beziehung können dadurch ganz unterschiedliche Erwartungen daran bestehen, wie Information vermittelt wird, wer mitentscheiden darf und worin ein gutes Behandlungsergebnis besteht. Eine kultursensible Kommunikation ist sich dieser beidseitigen Unterschiede bewusst, respektiert sie und ist – ganz im Sinne einer patientenzentrierten Kommunikation – auf Verständigung ausgerichtet.

    Warum sollten sich gerade Ärztinnen und Ärzte gezielt mit kultursensibler Kommunikation auseinandersetzen?

    Metan: Ganz grundsätzlich gilt ja für die Medizin: Sie sollte ihr Handeln rechtfertigen können und die Patienten zu informierten Entscheidungen befähigen. Das sind im Kern kommunikative Tätigkeiten. Ohne Berücksichtigung kultureller Hintergründe entstehen hier leicht Missverständnisse. Eine kultursensible Kommunikation ist insofern nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern ein Muss für eine qualitativ hochwertige und sichere Behandlung. Sie hilft, Konflikte zu vermeiden, das Vertrauen der Patienten zu gewinnen und sicherzustellen, dass sie informierte Entscheidungen treffen können. Das steigert nicht nur die Therapieadhärenz, sondern hat auch positive Nebeneffekte: Wer kulturelle Bedürfnisse berücksichtigt, spart vielleicht unnötige Untersuchungen und Nachfragen und schafft ein respektvolleres Arbeitsumfeld für alle – auch für die Kolleginnen und Kollegen, die einen Migrationshintergrund haben. Außerdem schützt es Ärzte, Ärztinnen und andere Gesundheitsfachpersonen vor Stress und Burn out, wenn kulturell oder weltanschaulich begründete Therapiepräferenzen besser nachvollzogen und letztlich verantwortet werden können. 

    Welche Konfliktfelder treten Ihrer Erfahrung nach in der Praxis am häufigsten auf?

    Metan: An der Oberfläche erschweren häufig sprachliche Unterschiede eine gelingende Kommunikation. Hier helfen natürlich Dolmetscher oder virtuelle Übersetzungsprogramme, die uns aber weder Gesprächsregeln noch ein Verständnis für die Wertvorstellungen hinter der sprachlichen Oberfläche vermitteln. Kulturell abhängig kann es beispielsweise Unterschiede geben, wie Menschen mit dem Tod oder der Todesnähe von Angehörigen und medizinischen Maßnahmen wie Sterbehilfe oder einer Therapiebegrenzung umgehen. Bereits das Sprechen über diese Themen oder die Mitteilung einer unheilbaren Erkrankung kann tabuisiert sein, was eine Therapiezielklärung vor gewisse Herausforderungen stellt. Auch die Expression von Schmerz oder Trauer ist ein Beispiel für eine nonverbale Kommunikation, die hochgradig kulturell normiert ist, wodurch Ärzte die Schwere eines Leidens möglicherweise unterschätzen oder überinterpretieren. Darüber hinaus können unterschiedliche Erwartungen an Rollen, Hierarchien und Abläufe die Interaktion zwischen Ärzten und Patienten erschweren.

    Können Sie ein Fallbeispiel nennen, wie kulturelle Unterschiede in einer medizinischen Versorgungssituation einen Konflikt befördern?

     Der Arzt und Medizinethiker Ilhan Ilkilic skizziert folgendes Beispiel, das mir so oder ähnlich aber auch schon häufiger in der Beratungspraxis begegnet ist: Ein Neugeborenes leidet an einer genetisch bedingten Erkrankung, die mit schweren und mehrfachen Organ-Anomalien einhergeht. Ohne maschinelle Unterstützung ist das Neugeborene nicht lebensfähig; die Lebenserwartung auch mit Beatmung nur sehr begrenzt. Im Gespräch empfiehlt das ärztliche Team, nicht zwingend notwendige Therapien einzustellen bzw. nicht erneut zu beginnen. Die streng religiösen Eltern bestehen jedoch darauf, sämtliche lebensverlängernden Maßnahmen fortzusetzen, obwohl diese keine kurative Wirkung haben, und betonen, dass sie im Jenseits keine andere Entscheidung verantworten könnten. Ein rein medizinisch rationales Vorgehen, das die Werte der Eltern einfach ignoriert, kann hier zu einem unüberbrückbaren Konflikt führen. 

    Wie kann man als Ärztin/Arzt mit schwierigen interkulturellen Situationen umgehen?

    Metan: Mein Vorschlag würde lauten: Schaffen Sie Kommunikationsangebote, um eine Beziehung herzustellen. Die Beziehungsebene ist essenziell, um überhaupt erst Vertrauen zu schaffen für die Sachebene der Kommunikation. Gespräche sollten verständlich, auf Augenhöhe und durch aktives Zuhören und Paraphrasieren gestaltet werden. Respektieren Sie die kulturellen Normen und Werte Ihrer Patienten oder der Angehörigen. Erläutern Sie medizinische Notwendigkeiten, aber verweisen Sie auch auf natürliche Grenzen des Machbaren. Wenn es eine Sprachbarriere gibt, bitten Sie einen Dolmetscher um Hilfe. Ziehen Sie bei Bedarf andere Vermittler hinzu, zum Beispiel einen Imam oder eine Ethikberatung als neutrale Gesprächsmoderation. Fragen Sie nach Bedürfnissen und Erwartungen und hinterfragen Sie eigene Annahmen oder Stereotype. Finden Sie gegebenenfalls „gesichtswahrende“ Kompromisse, die die Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten berücksichtigen, ohne eigene Werte aufzugeben. Betonen möchte ich: Es geht hier weder um eine wunscherfüllende noch um eine defensive Medizin, sondern um eine Versorgung, die auf Vertrauen, Respekt und Offenheit basiert. Das sind Werte, die dann auch direkt adressiert werden können.

    Welche Hindernisse bestehen Ihrer Meinung nach gegenüber einer kultursensiblen Kommunikation im Alltag der Patientenversorgung?

    Metan: Wir alle verfügen in unserer Wahrnehmung über einen impliziten Bias, also eine unbewusste Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Merkmalen einer Person oder Gruppe. Es erfordert Aufwand, diese eigene Wahrnehmung zu hinterfragen, zumal ein „Schubladendenken“ ja auch durchaus kognitiv ökonomisch ist. Entsprechende Schulungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung sind wichtig, um sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen von Interkulturalität zu adressieren. Häufig mangelt es ja aber nicht an der individuellen Bereitschaft zur Selbstreflexion, sondern an Ressourcen auf der Meso- und Makroebene. Zeitund Personalknappheit begünstigen eine sprechende Medizin in keinem Fall. Insofern gilt es auch, das Thema in Strukturen von Kliniken zu verankern.

    Dr. Metan, vielen Dank für das Gespräch.

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    Im Seminar „Kultursensible Kommunikation in der Patientenversorgung“ sensibilisiert Dr. Saskia Metan für den empathischen Umgang mit kultureller Vielfalt im Gesundheitswesen. Sie vermittelt theoretische Grundlagen zu kulturabhängigen Kommunikationsstilen, diskutiert deren Bedeutung in der täglichen Arbeit mit den Teilnehmenden und leitet aus realen Fallbeispielen konkrete Handlungsstrategien für interkulturelle Herausforderungen in dem Klinik- oder Praxisalltag ab.
    Termin:  4. März 2026, 18:00 bis 20:00 Uhr in der Geschäftsstelle des Marburger Bundes Sachsen in Dresden
    Die Plätze sind begrenzt – jetzt anmelden unter: marburger-bund.de/sachsen/kultursensibel