• "Angriffe auf das ärztliche Ethos betreffen uns alle."

    Kammerpräsident Rudolf Henke kritisiert Türkei / Dank an Erdbeben-Helfer / Blick auf Fachkräftemangel
    12.März 2023
    Düsseldorf (mhe). Mit großem Respekt dankte der nordrheinische Kammerpräsident Rudolf Henke zu Beginn der 9. Kammerversammlung den Ärztinnen und Ärzten, die nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei an der Rettung von Opfern beteiligt waren. „Sie waren Hoffnungsträger vor Ort, Ihnen ist es gelungen, Menschen lebend auch Tage nach der Katastrophe zu bergen und medizinisch zu versorgen.“ Dass trotz dieser Katastrophe mit den größten humanitären Herausforderungen für das türkische Gesundheitssystem elf Vorstandsmitglieder der Türkischen Ärztekammer vor Gericht gestellt wurden, weil sie eine Untersuchung eingefordert haben, ob die türkische Armee biologische Waffen gegen die Kurden eingesetzt hat, kritisierte Rudolf Henke eindringlich. „Wir verurteilen das als ein rein politisch motiviertes Vorgehen. Angriffe auf das ärztliche Ethos betreffen uns alle. Wir werden uns überall dagegen verwahren, wo wir die Möglichkeit haben.“

    Henke erinnerte an die vielen Opfer und Zerstörungen in der Ukraine durch die russischen Truppen. „Ereignisse wie diese führen uns die Fragilität unseres Lebens vor Augen und auch die Illusion, der Frieden würde einfach so immer bleiben. Es macht uns die Verantwortung bewusst, denen humanitäre und medizinische Hilfe zu gewähren, denen es deutlich schlechter geht als uns.“

    Der nordrheinische Kammerpräsident Rudolf Henke richtete im Weiteren in der 9. Kammerversammlung seinen Blick auf den Fachkräftemangel hierzulande. „Als Ende des Vorjahres drei Krankheitswellen zusammenkamen, haben wir erneut erlebt, das Kliniken und Praxen am Limit arbeiteten. Patienten lagen auf den Gängen, gesperrte Notaufnahmen, verschobene Operationen wegen Personalmangel und auch wieder Übergriffe auf medizinische Personal. So darf es nicht weitergehen.“ Das Jahr 2023 müsse das Jahr der klugen Reformen werden, um diese Mangelsymptome zu vermeiden!

    „Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was ein prognostizierter Personalengpass von 1,8 Millionen offenen Stellen im Gesundheitswesen Mitte der 30-er Jahre für Auswirkungen auf unsere Patientenversorgung hat. Bis dahin werden vier Millionen Menschen mehr im Rentenalter sein, nämlich mindestens 20 Millionen. Altersbedingte Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Demenz werden deutlich zunehmen. Eine alternde Belegschaft steht also einer ansteigenden Arbeitsbelastung gegenüber. Ganz klar ist, dass der Fachkräftemangel das Problem der Zukunft sein wird“, unterstrich Henke.

    Der Kammerpräsident verwies auf die Notwendigkeit der patientengerechten Personalbemessung. Mit dem auf dem 126. Deutschen Ärztetag in Bremen vorgestellten Personalbemessungstool „geht es explizit nicht um Mindestvorgaben, sondern um eine valide Berechnung für eine patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung in allen Krankenhausbereichen“.

    Der schon laufende internationale Kampf um qualifiziertes Personal aus dem Ausland habe unschöne Konsequenzen. Statt der moralisch fragwürdigen Abwerbung müssen „wir alles dafür tun, unseren Nachwuchs selbst und vor allem gut auszubilden. Wir brauchen bundesweit mehr Studienplätze und endlich finanzielle Lösungen dafür.“

    Henke zeigte sich verärgert, dass die Herausforderungen einer alternden und zunehmend multimorbiden Gesellschaft im Kontext des Fachkräftemangels nicht ehrlich kommuniziert werde. „Wir müssen wegkommen vom Faktor Arzt“ forderten SPD-Vertreter. „Ich würde mal prognostizieren, dass so eine Aussage nur von Gesunden getroffen wird und dass sich so eine Einschätzung schnell ändert, wenn der eigene Krankheitsfall eintritt.

    Uns bleiben 15 Jahre, um unser Gesundheitssystem so umzugestalten, dass wir unsere Bevölkerung weiterhin medizinisch so versorgen können, dass keiner mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit auf sich selbst gestellt ist. Ein solcher Systemwechsel wird aber nicht gelingen, wenn schon zum Start die im System tätigen Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.“

    Zweifellos könnten digitale Technologien einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Personals leisten und gleichzeitig die Versorgungsqualität erhöhen. Bisher würden sie aber vornehmlich zur Administration eingesetzt. "Sie haben aber keinen wirklichen Benefit für die Patientenversorgung." Henke bemängelte, dass in Berlin eine Digitalstrategie vorgestellt worden sei, aber die Umsetzungsstrategie etwa für die elektronischen Patientenakte (ePA) fehle. Die ePA müsse eben auch funktionieren, die Sicherheit der Patientendaten muss gewährleistet sein und ein sicherer und einfacher Zugriff auf die abgespeicherten Daten wären für die Akzeptanz unverzichtbar.