• Aushöhlung unseres Berufs

    Kommentar von Dr. med. Hans-Albert Gehle zum Triage-Gesetz
    10.Oktober 2022
    Es ist für uns als Marburger Bund eine vornehme Aufgabe, bei Gesetzgebungsverfahren angehört zu werden und unsere sachkundige Expertise zur Verfügung zu stellen. Unsere Meinung bei dem neuen Gesetzt zur Triage ist einmal mehr unverzichtbar. Im Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber ein Triage-Gesetz verlangt. Der Bundestag müsse „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen, betonten die Verfassungsrichter. Das Bundeskabinett hat am 24. August einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Triage mit mehreren Änderungen vorgelegt. Diese Regelungen beziehen sich aber nicht nur auf pandemiebedingt nicht ausreichende intensivmedizinische Behandlungskapazitäten oder auf Patienten mit Behinderungen. Ziel ist eine Normierung von Verfahren bei aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazität.

    Das Gesetz sieht vor, dass die Zuteilungsentscheidung von verschiedenen Fachärzten vorgenommen werden darf. Sie müssten aber mindestens zwei Jahre Erfahrung in der Intensivbehandlung besitzen. Im Referentenentwurf war zuvor noch von Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin die Rede.

    Der Regierungsentwurf sieht ferner vor, dass neben Ärztinnen und Ärzten auch weiteres Fachpersonal bei einer Entscheidung hinzugezogen werden kann, z. B. Pflegefachkräfte und Personen mit besonderer Expertise bei einer bestimmten Behinderung. Die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte müssen deren Votum dokumentieren.

    Kommt diese Triage-Gesetz ohne Änderungen, wird sich unser Klinikalltag massiv verändern. Wir geben zunächst zu bedenken, dass in einer gesetzlichen Regelung berücksichtigt werden muss, dass sich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte im Fall einer pandemiebedingten Triage in einer extremen Entscheidungssituation befinden. Ärztinnen und Ärzten könnten bei einem krisenbedingten Ressourcenmangel vor der schwierigen Entscheidung stehen, wer die nicht ausreichend zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Leistungen erhalten soll und wer nicht.

    „Dafür muss sichergestellt sein, dass allein nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entschieden wird“, forderte schon der 126. Deutsche Ärztetag in diesem Frühjahr in Bremen. Wir meinen, dass der Gesetzgeber die Sachgesetzlichkeiten der klinischen Praxis, etwa die aus medizinischen Gründen gebotene Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen, achten muss.

    Ebenso die Letztverantwortung des ärztlichen Personals für die Beurteilung medizinischer Sachverhalte im konkreten Einzelfall. Und eines muss dabei auch völlig klar sein, nur wir Ärztinnen und Ärzte verfügen über die entsprechende Fachkompetenz und klinische Erfahrung, niemand sonst.

    Unabdingbar für uns ist es, dass wir Ärztinnen und Ärzte uns keinen rechtlichen Risiken aussetzen, wenn wir eine einzelfallbezogene Entscheidung zur priorisierten Allokation medizinischer Ressourcen treffen müssen. Es ist wesentlich, in diesen Fällen darf kein individueller Schuldvorwurf erhoben werden. Das ärztliche Handeln muss vielmehr als objektiv rechtmäßig gelten.

    Werden diese Mindeststandards im neuen Triage-Gesetz nicht erfüllt, können wir unsere tägliche Arbeit auf den Intensivstationen kaum noch erbringen. So wird unser ärztliche Beruf ausgehöhlt. Wie wollen wir denn diese neuen Rahmenbedingungen unseren jüngeren Kolleginnen und Kollegen vermitteln, wenn es dann plötzlich zivilrechtliche Urteile gegen Kollegen geben wird? Behindertenverbände fordern bereits die weitergehende Möglichkeit für Strafprozesse.

    Ich sage es unmissverständlich: Das neue Triage-Gesetz muss entschärft werden! Bitten wenden auch Sie sich an Ihre lokalen Bundestagsabgeordneten. Intervenieren Sie! Diskutieren Sie mit ihnen. Es ist ein höchst ethisches Thema. Der Regierungsentwurf muss so gefasst werden, dass wir als Ärztinnen und Ärzte damit weiterleben und arbeiten können. Im nächsten Schritt wird der Bundesrat Stellung zum Gesetzentwurf nehmen.