• Bedarf an Ärztinnen und Ärzten wird kontinuierlich steigen

    Hauptversammlung 2023| Lagebericht | Beschlüsse
    26.September 2023
    „Was ist los in Krankenhäuser“, fragte Dr. med. Hans-Albert Gehle zu Beginn der diesjährigen Hauptversammlung des Marburger Bundes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz. „Immer mehr Ärztinnen und Ärzte flüchten angesichts der Arbeitsbedingungen in die Teilzeit. Der ohnehin gravierende Ärztemangel verschärft sich so zusätzlich. Dieser Trend wird sich aufgrund der politisch gewollten Konzentration leider fortsetzen. Angesichts der bereits anstehenden weitreichenden strukturellen Veränderung in der Krankenhausstruktur in NRW und RLP, sollten wir uns nichts vormachen, eine Arbeitsentlastung im Zuge der Reformen ist für uns Ärztinnen und Ärzte in Klinik sicherlich nicht zu erwarten“, erklärte Dr. Hans-Albert Gehle.

    Gehle widmete sich ferner u.a. der unzureichenden Finanzierung der Krankenhäuser. „Manche Politiker hoffen, dass es nach der Krankenhausreform keinen Ärztemangel mehr geben wird. Das ist ein gewaltiger Irrtum, der von mangelnder politischen Weitsicht zeugt. Wir kennen seit Jahrzehnten die ständige Mär von Über- oder Fehlversorgung. Dabei sprechen die statistischen Zahlen der Ärztekammern eine deutliche Sprache. Angesichts der Altersstruktur der Ärzteschaft, des medizinischen Fortschritts und der demografischen Entwicklung der Bevölkerung ist unzweideutig damit zu rechnen, dass der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten kontinuierlich steigen wird“, prognostizierte Gehle.

    Realität ist, dass Deutschland zu wenig medizinischen Nachwuchs ausbildet, um für die Zukunft gut gewappnet zu sein. Selbst durch die ethisch fragwürdige Abwerbung von Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland ist der Mangel an Ärztinnen und Ärzten hierzulande nicht zu lösen. Wir fordern deshalb erneut die Bundesländer auf, 5.000 neue Studienplätze für Humanmedizin zu errichten. Die notwendigen Strukturen und Kapazitäten müssen geschaffen und natürlich auch auskömmlich finanziert werden.

    Ausdrücklich plädierte Dr. Hans-Albert Gehle in seinem weiteren Lagebericht für eine Stärkung des Nachwuchses. „Wir brauchen dringend eine bundesweit einheitliche und faire PJ-Aufwandsentschädigung. PJ`ler sind in ihrer Ausbildung gezwungen, Nebentätigkeiten auszuüben, um so ihre monatlichen Ausgaben finanzieren zu können. Schon beim 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt 2018 haben wir einen Beschluss eingereicht, der eine Vergütung der PJ´ler mit mindestens 1.500 Euro im Monat vorsieht.“

    Völlig inakzeptabel sei auch, dass PJ´ler nicht krank sein dürfen. „Für Ihren Urlaub, ihre Fortbildung und für Krankheitstage stehen Ihnen maximal 30 Tage zur Verfügung. Wir brauchen eine Trennung von Krankheits- und Fehltagen. In keinem Beruf unserer Gesellschaft gibt es derartige Regelungen, warum ausgerechnet bei angehenden Ärztinnen und Ärzten, die später in ihrem Berufsleben erkrankte Menschen behandeln.“

    Gehle ergänzte dies mit ein paar Anmerkungen zur Novellierung der ärztlichen Ausbildung: „Wir fordern, dass das Studium attraktiv bleiben muss. Wir bemängeln, dass mit dem neuen klinischen Hammerexamen nach dem sechsten Semester viel zu wenig Zeit für die sonst eigentlich dreijährige klinische Studienphase übrigbleibt. Das ist genau das Gegenteil dessen, was eigentlich mit der Reform erreicht werden sollte: der Ausbau der klinischen Ausbildungsphase.

    Wir fordern zudem die Abschaffung der veralteten Kapazitätsverordnung. Wir hätten es uns auch gewünscht, dass vor einer Neustrukturierung des Medizinstudiums der hierdurch entstehende Finanzbedarf ermittelt und das Kapazitätsrecht grundlegend reformiert worden wäre. Es wird nicht möglich sein, diese Reform mit den derzeit gegebenen Mitteln durchzuführen. Auch eine Konzentration auf Einspareffekte darf keine Rolle spielen.“

    Dr. med. Hans-Albert Gehle bemängelte ferner die nicht auskömmliche Investitionsförderung durch die Länder. „Krankenhäuser könnten die inflationsbedingt gestiegenen Kosten nicht mehr tragen. Freier, ungeregelter Wettbewerb verändert gerade die benötigte bedarfsgerechte Krankenhausplanung. Die Insolvenzen häufen sich und die Versorgung in manchen Regionen ist massiv in Gefahr.“

    Ausführlich diskutierte das Plenum das sensible Thema der Ex-Post-Triage. „Im Falle einer medizinischen Ressourcenknappheit entscheiden zu müssen, welche Patienten behandelt werden und welche nicht, bringt massive ethische und rechtliche Probleme mit sich. Es ist ein höchst ethisches Thema, zu dem wir eine klare Meinung haben.“

    „Der Ausschluss der Ex-Post-Triage führt zur Aushöhlung unseres ärztlichen Berufs“, warnte Dr. Gehle. „Im Gesetz steht, dass der Abbruch einer Behandlung zugunsten eines anderen Patienten mit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit untersagt ist. Der Ausschluss der Ex-Post-Triage bedeutet, dass etwa Patienten mit einem Schlaganfall oder Herzinfarkt gar keine Chance mehr hätten, intensivmedizinisch versorgt zu werden, wenn Intensivstationen etwa wegen einer Pandemie geschlossen wären.“

    „Wir befinden uns in extremen Entscheidungssituationen und der Gesetzgeber möchte nicht, dass wir Ärztinnen und Ärzte die Entscheidung alleine treffen. Dabei haben nur wir Ärztinnen und Ärzte die entsprechende Fachkompetenz. Wir Ärztinnen und Ärzten könnten bei einem krisenbedingten Ressourcenmangel vor der schwierigen Entscheidung stehen, wer die nicht ausreichend zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Leistungen erhalten soll und wer nicht, erklärte Gehle. „Dafür muss sichergestellt sein, dass allein nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entschieden wird“, forderte schon der 126. Deutsche Ärztetag in Bremen.

    „Wir meinen, dass der Gesetzgeber die Sachgesetzlichkeiten der klinischen Praxis, etwa die aus medizinischen Gründen gebotene Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen, achten muss. Ebenso die Letztverantwortung des ärztlichen Personals für die Beurteilung medizinischer Sachverhalte im konkreten Einzelfall. Und eines muss dabei auch völlig klar sein, nur wir Ärztinnen und Ärzte verfügen über die entsprechende Fachkompetenz und klinische Erfahrung, niemand sonst“, betonte Gehle.

    „Unabdingbar für uns ist es, dass wir Ärztinnen und Ärzte uns keinen rechtlichen Risiken aussetzen, wenn wir eine einzelfallbezogene Entscheidung zur priorisierten Allokation medizinischer Ressourcen treffen müssen. Es ist wesentlich, in diesen Fällen darf kein individueller Schuldvorwurf erhoben werden. Das ärztliche Handeln muss vielmehr als objektiv rechtmäßig gelten. Werden diese Mindeststandards im neuen Triage-Gesetz nicht erfüllt, können wir unsere tägliche Arbeit auf den Intensivstationen kaum noch erbringen“, sagte Gehle. „Behandelnde Ärztinnen und Ärzte benötigen Rechtssicherheit, um in einer Not- und extremen Stresslage zu entscheiden, welche Patienten mit guter Prognose sie retten können.“

    „Einzelne Ärztinnen und Ärzte werden vermutlich - mit Unterstützung des Marburger Bundes - eine Klage vor Gericht erheben müssen.“ Das Thema wird auf der Hauptversammlung des Bundesverbandes im November ein zentraler Punkt sein. Ein Bericht zum Vortrag von Dr. med. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, zum Thema „Gesundheitsversorgung der Zukunft an der Grenze von ambulant und stationär“ folgt.