Kritiker der Verschärfung wenden ein, Schwerstkranke müssten wieder regelmäßig Arztpraxen aufsuchen, und Freizeitkonsumenten müssten auf den Schwarzmarkt ausweichen, wenn sie kein Medizinal-Cannabis mehr über Online-Verschreibung und Versand beziehen können.
Aus ärztlicher Sicht zu dieser Kritik zwei Bemerkungen: Erstens: Schwerkranke Menschen, die Medizinal-Cannabis benötigen, haben regelhaft Kontakt zu Ärztinnen und Ärzten und können die Substanz bei entsprechender Indikation auch weiterhin verschrieben und von den Krankenkassen bezahlt bekommen. Das angekündigte Gesetz der Bundesgesundheitsministerin ändert daran gar nichts und schränkt die Rechte Schwerstkranker auch nicht ein.
Auch dass Folgeverschreibungen laut Gesetzentwurf mindestens einmal im Jahr im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient überprüft werden sollen, ist absoluter Standard und keiner Aufregung wert. Ärztinnen und Ärzte sind immer angehalten, die Medikation an den aktuellen Gesundheitszustand ihrer Patientinnen und Patienten anzupassen.
Zweitens: Der Gesetzgeber hat mit den Cannabis-Clubs und dem beschränkten Eigenanbau Regelungen geschaffen, die den legalen Bezug von Cannabis zum Eigengebrauch in der Freizeit zulassen. Cannabis-Plattformen, die Kiffen auf Tele-Rezept ermöglichen, umgehen diesen legalen Weg. Da Medizinal-Cannabis zurecht ein verschreibungspflichtiges Medikament ist, ist es nicht die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, Freizeitkonsumenten (also ohne medizinische Indikation) Medizinal-Cannabis zu verordnen.
Ärztinnen und Ärzte unterliegen der Sorgfaltspflicht. Und das heißt, dass sie ihr Handeln ausschließlich am Wohl ihrer Patientinnen und Patienten ausrichten müssen. Freizeitkonsumenten sind aber eben keine Patienten, und wir wollen mit unserem ärztlichen Verschreibungsverhalten auch nicht dafür sorgen, dass sie eines Tages Patienten werden.
Denn trotz Legalisierung handelt es sich bei Cannabis um eine psychoaktive Substanz, die auch mit erheblichem Suchtpotenzial und Nebenwirkungen gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen einhergehen kann.
Wenn ein Ziel der Teillegalisierung von Cannabis, nämlich die Austrocknung des Schwarzmarkts, nur dadurch erreicht werden kann, dass Online-Plattformen Freizeitkonsumenten per Rezept zum Rausch verhelfen, ist das Cannabis-Gesetz der Ex-Ampel verfehlt, und es gehört zügig überarbeitet. Der geplante Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken ist ein wichtiger und richtiger Schritt dazu.
Zum Hintergrund: Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zufolge ist nach der Teillegalisierung von Cannabis der Import von Medizinal-Cannabis zwischen dem ersten und zweiten Quartal 2024 um 170 Prozent gestiegen. Die Verschreibungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung seien im selben Zeitraum jedoch nur um neun Prozent nach oben gegangen. Das legt nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums nahe, dass die steigenden Importe insbesondere der Belieferung von Freizeitkonsumenten dienen.