• Eleonore Zergiebel: „Das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem schafft sich selber ab.“

    Finanzinvestoren verändern das Gesundheitswesen
    13.September 2018
    Aachen
    Von Michael Helmkamp
    Eleonore Zergiebel ist Ärztin für Innere Medizin und leitet das Medizincontrolling in einem Dürener Krankenhaus. In Ihrer schonungslosen Analyse des Gesundheitssystems, das sie in ihrer Funk­tion sowohl aus ärztlicher als auch aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet, weist Eleonore Zergiebel auf eine Vielzahl von Missständen hin: „Unser Gesundheitswesen steuert auf eine Katastrophe zu: Es wurde geschaffen, um für Patienten da zu sein – eine klare Wohlfahrtfürsorge für eine Solidargemeinschaft. Aber seit Jahren herrscht eine Überregulierung der Leistungsträger in den Kliniken, die die Ärzte, die Pflegenden und das Funktionspersonal davon abhält, für unsere Patienten da zu sein und zudem sehr viel Geld kostet. Mit dem Einstieg der kommerziellen Klinikkonzerne in die Krankenversorgung ist darüber hi­naus das Profitstreben immer größer geworden. Wir Ärzte sind noch viel zu angepasst, viel zu ruhig. Das müssen gerade wir Älteren ändern.“

    Eleonore Zergiebel bringt mit 56 Jahren eigentlich nicht mehr viel aus der Ruhe, doch sie sieht gute Gründe, Ärztinnen und Ärzte zum Aufbegehren aufzurufen: „Immer stärker wird unser Gesundheitssystem zur Profitgenerierung umstrukturiert. Ausländische Finanzinvestoren kaufen sich immer öfter in deutsche Krankenhäuser ein. Börsennotierte Klinikkonzerne wachsen, während die freigemeinnützigen und kommunalen Häuser zunehmend ums Überleben kämpfen. Da die Bundesländer seit Jahrzehnten nicht ausreichend Geld in die Kliniken investieren, wächst der Anteil privater Investoren stetig.“

    „Finanzinvestoren steigen mit ihrem Kapital nicht aus Gründen der Wohltätigkeit ein, sondern nur um Gewinne zu machen. Kommerzielle Träger trimmen ihre Krankenhäuser auf Gewinn.“ Mit der Versorgung kranker Menschen müssen dort Renditen erwirtschaftet werden. Überschüsse börsennotierter Kliniken werden dann als Dividende an Aktionäre ausgeschüttet. So ist etwa Goldmann-Sachs am Rhön-Klinikkonzern beteiligt. „Diese Entwicklungen sind kaum mehr zu ertragen. Krankenhäuser und Praxen dürfen nicht zu Rendite- und Spekulationsobjekten verkommen, denn sonst ist die medizinische Versorgung nachhaltig gefährdet“, unterstreicht Eleonore Zergiebel.

    Sehr am Herzen liegt der Controllerin das Thema „Satellitenwirtschaft“: „Seit Einführung der DRG ist eine Satellitenwirtschaft entstanden, in die erhebliche Gelder fließen, die uns in der Patientenversorgung fehlen. Es entstehen immer mehr Institute, ob GBA, IQTiG, InEK oder DIMDI.“

    „Juristen greifen dabei immer stärker in unser ärztliches Handeln ein. Mit der Einführung der Fallpauschalen entstanden immer mehr juristische Ausei­nan­dersetzungen um Abrechnungen, unzählige Gerichtsverfahren wurden losgetreten.“ Das Bundessozialgericht habe zwischen Juli 2014 und August 2016 insgesamt 30 Urteile zu Abrechnungsstreitigkeiten gefällt. Anlass zu Mehrarbeit in Kliniken.“

    Das immer filigranere Abrechnungswesen treibe aber auch immer mehr Ärzte aus der Patientenversorgung. „Beim MDK arbeiten bereits 3.000 Ärzte und 2.400 Pflegekräfte, in den Kliniken sind nicht weniger Ärzte bzw. Fallprüfer mit Kodierungen oder Fallprüfungen beschäftigt. Hochgerechnet auf 500.000 Klinikbetten werden so gut 6.000 klinische Mitarbeiter vornehmlich mit Abrechnungstätigkeiten gebunden. Hinzu kommen noch jene Ärzte und Pflegende, die lieber ganz aus dem Klinikalltag fliehen und zum Beispiel in das Beraterfach wechseln.“

    „Durch den Dokumentationswahn wird unglaublich viel Zeit und Geld verbrannt.“ Die Kosten zahle am Ende stets der Krankenversicherte, obwohl sein Geld ja eigentlich für seine medizinische Behandlung bestimmt sei. Für Eleonore Zergiebel steht fest: „Wir sollten und dürfen diese Entwicklungen nicht länger schweigend hinnehmen. Denn letztlich bringen sie sogar unseren so­zialen Frieden in Gefahr.“

    Zur Person: 

    Eleonore Zergiebel ist Ärztin für Innere Medizin und leitet das Medizincontrolling in einem Dürener Krankenhaus. Sie wird als eine der drei Gastrednerinnen auf unserer Hauptversammlung am 22. September 2018 in Köln auftreten.