• Entfesselte Kontrollbürokratie - verhinderte Patientenversorgung

    Eleonore Zergiebel kritisiert OPS-Strukturprüfungen
    16.August 2023
    Zunächst ganz nüchtern: Krankenhäuser können seit 2021 beim zuständigen Medizinischen Diensten eine OPS-Strukturprüfung beantragen. Dabei wird geprüft, ob sie die Strukturmerkmale für bestimmte Leistungen erfüllen. Die zu prüfenden Strukturmerkmale sind in Kodes des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) festgelegt, der jährlich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegeben wird. Welchen Sinn haben diese Prüfungen? Machen wir uns nichts vor, sie wurden nur eingeführt, um die politisch gewollte Bereinigung der Kliniklandschaft endlich durchzuführen. Was noch nicht über den finanziellen Druck der DRG-Fallpauschalen oder über die zu geringe Investitionskostenfinanzierung der Länder gelang, sollen nun die Strukturprüfungen richten. Für die Kliniken bedeutet dies einen weiteren enormen bürokratischen Aufwand und letztlich, im Falle des Nicht-Bestehens der Prüfung den Wegfall der Vergütung durch die Kassen. Es ist zynisch, dass die Leistung dann ‚gerne‘ weiter erbracht werden darf, aber unentgeltlich, versteht sich.

    Strukturprüfungen verhindern Patientenversorgung. Sie bewirken keine Verbesserung der Versorgung. Als erste Bilanz lässt sich sagen, an der qualitativ hervorragenden pflegerischen und medizinischen Behandlung unserer Patienten hat sich infolge durchgeführter Strukturprüfungen nichts geändert! Dafür werden aber im Krankenhaus unzählige (Fach)arztstunden mit dieser Misstrauensbürokratie verschwendet.

    Realität ist: Qualität findet sich da, wo Gesundheitsschaffende mit Engagement und Verantwortungsbewusstsein – ohne Zeitdruck – ihre Patienten versorgen. Qualität wird da verhindert, wo uns eine Misstrauenskontrollbürokratie von der Patientenversorgung abhält. Mit guten Gründen fordern wir deshalb die Reduzierung der Dokumentationsmenge und geforderten Unterlagen.

    Sinnvoller wären Stichproben- oder anlassbezogene Prüfungen, statt jährliche Prüfungen. Warum werden bereits vorhandene freiwillige Zertifizierungen oder stattgehabte G-BA Richtlinienprüfungen nicht angerechnet? Das würde uns Ärztinnen und Ärzte vor der widersinnigen Redundanz derselben Prüfungsinhalte schützen und uns wieder mehr Zeit für unsere Patienten geben.

    Es war im Vorjahr ein absolutes Ärgernis, dass die Genehmigung und Veröffentlichung der Richtlinien bis auf wenige Tage vor dem Ende der Antragsfrist verzögert wurden. Das erzeugte massiven Stress bei Klinik-Mitarbeitern. Dieser Umgang des Bundesministeriums für Gesundheit mit uns Gesundheitsschaffenden zeugt von purer Geringschätzung. Es ist ein sträflicher Umgang mit Patienten.

    Warum gibt es stattdessen keine angemessene, (geschäfts-)partnerschaftliche Wertschätzung unseres redlichen Bemühens, eine reibungslose Patientenversorgung trotz Kontroll-Bürokratie, Pandemie, Flutkatastrophe, Flüchtlingsversorgung, Hitzewellen zu gewährleisten? Wir fordern ausreichend Zeit zur Vorbereitung und größere Zeiträume zur Erfüllung der Forderungen. Die Richtlinien müssen so zeitnah veröffentlicht werden, dass Mitarbeiter ihren Urlaub nicht stornieren müssen, um Fristen zu wahren. Längere Prüfintervalle wären sinnvoll.

    Warum durfte der Medizinische Dienst mit dem Begutachtungsleitfaden sein eigenes „Gesetz“ mit teils abstrusen Interpretationen der Vorgaben im OPS Katalog kreieren? Eine Richtlinie kann eine immense Tragweite auf das Leistungsspektrum haben. Sie kann zur Schließung von Betten oder Abteilungen führen. So haben in 2021 von 177 nordrheinischen Kliniken 25 die palliativmedizinische Komplexziffer (OPS 8-98e) beantragt. 14 Kliniken haben sie bekommen. Da wundert sich die Dt. Gesellschaft für Palliativmedizin, warum immer weniger Palliativbetten betrieben werden? Eine Richtlinie, deren Auswirkung bis zur Unternehmensinsolvenz führen kann, gefährdet die Patientenversorgung.

    Es darf nicht sein, dass wesentliche Aspekte der Strukturprüfung nicht mehr vom Gesetzgeber geregelt werden, sondern dies einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, dem MD BUND, überlassen wird. Richtlinien mit Auswirkungen dieser Tragweiten dürfen nur als Gesetz vom Gesetzgeber verfasst werden. Daher fordern wir, den Richtlinienentwurf des MD BUND dringend einer verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen. So sind Strukturprüfungen kontraproduktiv: sie beschleunigen das Systemversagen unserer medizinischen Versorgung, weil wieder medizinisches Personal aus der Patientenversorgung für das Bedienen einer entfesselten Kontrollbürokratie abgezogen wird.