• „Ich bin Präsident aller Ärztinnen und Ärzte.“

    ÄKWL – Konstituierende Kammerversammlung: Dr. med. Hans-Albert Gehle fordert Ärzteschaft zur Einheit und zum stärkeren Engagement auf
    02.Dezember 2019
    Münster (mhe). In seiner ersten Rede als westfälisch-lippischer Kammerpräsident betonte Dr. med. Hans-Albert Gehle: „Ich bin Präsident aller Ärztinnen und Ärzte. Als Kammerversammlung sollten wir für alle Ärzte da sein und das bleibt auch immer mein Ziel. Unser aller Weg und Interesse an und in der Ärztekammer ist so unterschiedlich wie die Berufs- und Gesundheitspolitik selbst. Und doch ist unsere Stärke immer die Einheit und das klare gemeinsame Auftreten nach interner Klärung unserer Positionen. Egal, wo und wie wir als Ärzte tätig sind – in Krankenhäusern, Praxen, Ämtern, Betrieben – wir müssen uns einmischen für eine menschenwürdige, qualitativ hochwertige, aber auch arztgerechte Versorgung.“

    Seit zehn Jahren ist Hans Gehle im westfälisch-lippischen Kammervorstand. Dort habe er gelernt zusammen zu stehen, aber auch Streitkultur zu haben. „Ich habe den Rat bekommen, mich nicht immer über alles so aufzuregen. Das stimmt für das Miteinander der Kollegen und Mitarbeiter, aber nicht für die echt drängenden Probleme, die uns alle betreffen“, räumte Gehle ein. Sein Fazit: „Ich bin unruhig, ich war unruhig und werde immer zielgerichtet unruhig bleiben, denn die Probleme die uns gemeinsam bedrängen, müssen gelöst werden.“

    „Als Arzt bin ich Kind der Mutter ´Fallpauschale´ und des Vaters ´Budgetdeckels´. Beiden konnte ich in 29 Jahren nicht entrinnen. Seit Beginn meines Berufsweges musste ich darunter leiden und Patienten unter Rationierung versorgen“, erinnert der neue Kammerpräsident. „Wir Ärztinnen und Ärzte wollen doch ökonomisch unabhängig entscheiden. Nur so können wir die ärztliche Freiberuflichkeit erhalten“, mahnte Gehle. „Und wir brauchen wieder mehr Zeit für unser Patienten!“

    Nach zehn Jahren ärztlicher Tätigkeit habe er kurz darüber nachgedacht, seinen Traumberuf aufzugeben. „Mir ging es so wie vielen jungen Kollegen heute. Der Druck in der konkreten Behandlungssituation erschien mir unmöglich, ja unwürdig für mich und meine Patienten. Die Alternative war und ist, sich mit allem was in meiner Kraft steht, mich einzusetzen für meinen ärztlichen Beruf. Sich zu wehren! Das ist das, wovon wir auch die jungen Kolleginnen und Kollegen überzeugen müssen. Bleibt dabei und wehrt Euch!“

    Damals wie heute: Überbordende Bürokratie statt Zeit für Patienten. Staatliche gelenkte Medizin. Budgetierung statt nötiger Zeit für Versorgung. Fehlende Investitionsmittel für Kliniken. Angesichts der demografischen Entwicklung gebe die Politik keine überzeugenden Antworten auf diese Herausforderungen.

    „Trotz begrenzter Mittel hält die Politik an einem unbegrenzten Leistungsversprechen zu jeder Tages- und Nachtzeit fest. Das Ergebnis sehen wir u.a. in den teils bedenklichen Entwicklungen mit unakzeptablen Übergriffen in der Notfallversorgung. Wir werden hier neue Wege gehen. Es gibt aber keine einfachen Lösungen.“ Wer in der Politik den Anspruch habe, moderne Krankenhäuser und Praxen zu haben, der müsse auch die nötigen Investitionsmittel bereitstellen.

    Die Digitalisierung solle im Gesundheitswesen Vieles erleichtern und Krankenhäuser „smarter“ machen. „Gleichzeitig wird eine Datenschutzgrundverordnung erlassen, die das „smart hospital“ gleich wieder schließt. Krankenhäuser wollten und sollten fusionieren, aber die Kartellrichter lassen Fusionen nicht zu.“

    Als riskant bewertet Hans Gehle die Abtrennung und Übertragung ärztlicher Tätigkeiten und Verantwortung auf „maschinelle intelligente Systeme. An dieser Stelle ein klares Stoppschild. Künstliche Intelligenz kann helfen, aber den Arzt nicht ersetzen.

    Die einzigartige Bindung zwischen Arzt und Patient sei nicht durch eine Maschine zu ersetzen. „Das kann nicht gehen. Da müssen wir uns einmischen. Wir müssen die Versorgung gestalten, dürfen dies nicht den Politikern und Ökonomen überlassen. Die Prozesse der Digitalisierung und Telematik müssen wir kritisch begleiten und zugleich eigene Ideen einbringen.“

    Weder Alexa noch Substitution könne den Arzt ersetzen. „Wir müssen neue Konzepte für die Delegation ärztlicher Leistungen im ambulanten wie im stationären Bereich entwickeln. Wie erhalten wir die uns zugeschrieben Gesamtverantwortung für die Versorgung? Wir sollten keine Abwehrkämpfe führen, sondern unsere Rolle positiv und begründet definieren.“

    Der neue Präsident der ÄKWL sprach sich für mehr Medizinstudienplätze aus. „Wir benötigen andere Zugangsvoraussetzungen für das Medizinstudium, um den Ärztemangel zu beheben. Die Landarztquote wird das Problem auf Dauer nicht lösen. Wir brauchen auch kein Downgrading des Arztes zum Bachelor, damit er mit anderen Gesundheitsberufen gleichgestellt wird. Wir müssen uns als Arzt klarer definieren.“

    Die Kammerversammlung müsse sich stärker für den ärztlichen Nachwuchs einsetzen, die ärztliche Fort- und Weiterbildung müsse vorangetrieben und die neue Weiterbildungsordnung so schnell wie möglich in die Praxis umgesetzt werden. Eine weitere gewichtige Aufgabe stehe mit der Reform der Krankenhausplanung in NRW bevor. „Wir müssen uns als Anwalt der Patienten mit unserer Sachkunde einmischen.“

    Hans Gehle plädierte abschließend für eine stärkere Integration von Ärzten aus dem Ausland. „Ohne zugewanderte Ärzte würde in Westfalen-Lippe die Versorgung längst zusammenbrechen. Wir müssen die Kollegen bei den Kenntnisprüfungen unterstützen, nicht nur fordern. Denn die Ärzte warten bis zu zwei Jahre auf einen Prüfungstermin. Das ist zu lange. Wir müssen ihnen helfen, sich vorzubereiten, und ihre Integration fördern. Das ist unsere Pflicht.“