• Impfen mit Gewalt?

    Aktueller Kommentar von Rudolf Henke - Präsident der Ärztekammer Nordrhein
    10.November 2021
    Viele von uns haben darauf gehofft, dass die Corona-Pandemie hierzulande mit steigender Impfquote allmählich ihre Dynamik verliert und endlich wieder mehr Normalität in den Alltag einkehrt. Mit den aktuell auf Rekordhöhe gestiegenen Infektionszahlen rückt aber die Corona-Pandemie im allgemeinen Bewusstsein und auch auf der politischen Agenda wieder weiter nach vorne. Forderungen nach einer Impfpflicht werden laut. Umfragen haben jüngst sogar erstmals in der Bevölkerung eine Mehrheit für die Corona-Impfpflicht ausgemacht. Warum steigt die Inzidenz derzeit so stark? Zuletzt waren fast 58 der über 83 Millionen Einwohner in der Bundesrepublik mindestens einmal geimpft. Das ist zweifellos ein Erfolg, aber für die vielfach erhoffte Herdenimmunität ist es jedenfalls bei weitem zu wenig.

    Auch die seit dem 11. Oktober wieder kostenpflichtigen Tests hatten keine starke Erhöhung der Impfquote zur Folge. „Die Impfpflicht muss jetzt kommen“, titelte am Wochenende die altehrwürdige FAZ. Wäre der gesetzliche Impfzwang jetzt der einzig richtige Weg?

    So verständlich dieser Wunsch für viele Bürger zunächst erscheint, möchte ich zu bedenken geben, wie sollten wir denn die Menschen impfen, die schlichtweg strikt überzeugt sind, sich auf gar keinen Fall gegen Corona impfen zu lassen? Eine gesetzliche Impfpflicht lässt sich in einer freiheitlichen Demokratie nicht strikt umsetzen. Das gelingt nur autoritären Staaten, die wir wegen ihrer Freiheitsdefizite zu recht oft kritisieren.

    Uns bleibt also nur die intensive und gewiss mühsame Überzeugungsarbeit. Daran kommen wir nicht vorbei. Unter Zwang und mit Gewalt können wir Ärztinnen und Ärzte nicht impfen. Wir benötigen vor der Impfung immer das informierte Einverständnis der Bürger.

    Um das verstärkt zu erreichen, brauchen wir zweifellos kreative, aufsuchende Wege. Wir müssen stärker auf die Bürger zugehen, die bisher nicht gut genug informiert wurden, um sich für die Impfung zu entscheiden. Und selbst so werden wir die strikten Impfgegner nicht überzeugen können.

    Wer trägt die höchsten Infektionsrisiken? Das sind natürlich die Ungeimpften. Sie mögen teils auf die Herdenimmunität der Geimpften vertrauen. Ihnen muss jedoch klar sein, dass sie sich mit ihrer Entscheidung gegen die Corona-Schutzimpfung zwangsläufig selbst für eine vermeidbare Coronainfektion entschieden haben.

    Die vierte Welle ist zum größten Teil eine Infektionswelle der Ungeimpften. Impfdurchbrüche sind weitaus seltener. Aber leider ist zu befürchten, dass das Corona-Virus durch die zahlreichen Infektionen neue Wege finden wird, auch den schon erreichten Impfschutz zu umgehen. Wir erleben seit Wochen, dass auf den Intensiv- und Covidstationen in unseren Krankenhäusern vornehmlich Ungeimpfte wegen Covid medizinisch versorgt werden müssen.

    Kapazitätsgrenzen könnten schon bald wieder erreicht werden. Tag für Tag sterben derzeit über 200 Menschen, zumeist hätte die Impfung ihr Leiden und ihren Tod verhütet.

    Was müssen wir tun? Statt einer Impfpflicht für alle sollten wir darüber nachdenken, zumindest dort strenger zu sein, wo Betagte oder Menschen mit Behinderung in Einrichtungen durch nicht geimpftes Personal gefährdet werden. Auch Tests sind dort geboten, aber nur mit ihnen werden wir die besonders Gefährdeten nicht vor der oft genug tödlichen Corona-Infektion schützen können.