• Impfen schützt Leben

    Kommentar des Landesvorsitzenden Dr. med. Hans-Albert Gehle
    19.Januar 2022
    Impfzwang, Impfpflicht, Impfdruck – wo stehen wir als Ärztinnen und Ärzte? Unser Alltag im dritten Corona-Jahr: 3.000 Corona-Infizierte werden zurzeit im Bundesgebiet intensivmedizinisch behandelt. 1.800 müssen beatmet werden. Gegenwärtig sind 18 Prozent der 25.000 Intensivbetten frei. „In Deutschland ist die aktuelle Lage nicht angespannt“, bilanziert das Divi-Intensivregister am 16. Januar, denn freie Intensivbetten seien noch verfügbar. Wir haben uns in den MB-Hauptversammlungen für eine berufsbezogene Impfpflicht ausgesprochen. In unseren Ärztekammern sogar für eine Impflicht der über 18-Jährigen Bevölkerung. Dafür hatten wir gute Gründe. Die Risiken der Infektion haben wir weitaus größer eingeschätzt als die Gefahren der Impfung. Nüchterne Zahlen aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz: Am 16. Januar werden in beiden Ländern 310 Covid-Patienten beatmet, weitere 219 liegen auf den Intensivstationen. 1.215 Intensivbetten sind derzeit noch frei. Müssen wir angesichts dieser Lage unsere Meinung ändern?

    Alltag ist aber auch: Tag für Tag verlieren auf den Intensivstationen in Deutschland zu viele infizierte Menschen ihr Leben. Bis zu 450 an einem Tag waren es im Januar. Über 115.300 Corona-Todesfälle sind bundesweit bisher registriert worden. Eine erschreckende Gesamtzahl, die sich täglich weiter erhöht. Mit 20.722 Todesfällen verzeichnet NRW die höchste Todeszahl aller deutschen Bundesländer. In RLP erlagen 4.732 Covid-Patienten ihrem Leiden. Dass es nicht viel mehr sind, ist nur den Impfungen zu verdanken.

    Jede einzelne Zahl steht für ein verlorenes Menschenleben. Täglich trauern hierzulande Familienangehörige um ihre Verstorbenen. Während wir täglich Angehörigen die schreckliche Nachricht überbringen müssen, sind die Zahlen in der Öffentlichkeit zur Gewohnheit geworden. Wollen wir uns daran wirklich gewöhnen müssen? Würden wir es akzeptieren, wenn täglich zwei vollbesetzte Passagierflugzeuge im Bundesgebiet abstürzen?

    Wir Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus, in den Praxen und last but not least im ÖGD arbeiten seit Monaten tagtäglich am Limit. Den Pflegekräften und MFA´s geht es genauso. Ergebnis: Die Flucht des Personals aus Kliniken, nein aus der gesamten Gesundheitsversorgung hält weiter an. Leider wird Sie unter Corona nochmals größer!

    Ist Omikron milder? Harmloser? „Uns drohen schwere Wochen“, warnt der neue Bundesgesundheitsminister Lauterbach völlig zu Recht. Wir erleben aktuell täglich immer neue Höchststände bei den nachgewiesenen Infektionszahlen. Weitere rasante Steigerungen stehen uns bevor. Auch er weiß, in den nächsten Wochen werden die noch freien Kapazitäten in den Kliniken wieder sinken. Größere Personalausfälle wie in allen anderen Ländern Europas drohen, auch wenn viele Menschen nur leichter erkranken. Wer soll dann die jetzt schon knappe Personaldecke auffüllen?

    Wir Ärztinnen und Ärzte wissen, dass einzig mit Hilfe von Corona-Impfungen diese verheerende Pandemie besiegt werden kann. Wir wissen, die Impfungen sind der sicherste Schutz für Jeden vor einem schweren Verlauf oder qualvollen Tod durch Corona. Wirksame Medikamente gibt es bisher nicht. Solange das Virus kocht, wird es weitere Varianten geben.

    Wir wissen ferner, aktuell sind über zwei Drittel aller Corona-Patienten in Intensivbetten nicht oder nicht ausreichend geimpft. Die Verläufe der Ungeimpften sind deutlich schwerer. Viel persönliches Leid und ein großer Teil der Überlastung des Klinikpersonals wäre damit im Grunde vermeidbar.

    Leider wissen wir aber auch, selbst drei Corona-Impfungen verhindern nicht, dass sich Menschen noch anstecken und das Virus weiter übertragen können. Hat sich also die Lage geändert? Sind unsere Beschlüsse noch richtig?

    Impfen ist eine moralische Selbstverpflichtung, nicht nur, um sich selbst vor schweren Verläufen oder gar Schlimmeren zu schützen. Wer sich impfen lässt, übernimmt auch seinen Anteil der Verantwortung für die gesamte Gesellschaft. Aber nicht alle sind sich dieser Verantwortung bewusst. Auch unter Ärztinnen und Ärzten gibt es Impfgegner. Die Auseinandersetzung um die Impfpflicht wird immer radikaler.

    Eins ist klar, wir als Ärztinnen und Ärzte werden niemanden gegen seinen Willen unter Anwendung körperlicher Gewalt impfen. Das widerspricht eindeutig unserem Berufsethos, aber auch einfach der Menschlichkeit. Einen Impfzwang lehnen wir ab.

    Wie aber sollen wir eine Impfpflicht denn durchsetzen? Tun wir das nicht schon längst? Ist denn der immer weiter erhöhte Impfdruck nichts anderes als eine Impfpflicht. Das Erfordernis des Impfnachweises für die Ausübungen des Berufes und die Wahrnehmung des öffentlichen Lebens sind eine Impfflicht durch die Hintertür. Egal ob Impfpflicht oder Impfdruck wir müssen die Menschen zum Impfen bewegen. Ohne eine Impfung wird es uns nicht gelingen, die bisherigen Folgen immer neuer Infektionswellen zu beenden.

    Ich kann an dieser Stelle sicher nicht alle sprechen. Aber es wäre von Anfang an ehrlicher gewesen, von einer Impfpflicht zu sprechen. Hat der langsam erhöhte Druck nicht zu mehr Verwirrung geführt? Ich meine ja!

    Unserer neuen Bundesregierung obliegt es nun zu entscheiden, aber auch aufzuklären: Impfpflicht ist nicht Impfzwang. Wer unser Land führt, muss gerade in der Pandemie Verantwortung für die gesamte Bevölkerung übernehmen. Ich wünsche Ihr eine glückliche Hand.