• Impfschutz - Selbstverpflichtung für jeden Einzelnen

    Gemeinsamer Kommentar von Dr. med. Hans-Albert Gehle und Dr. med. Günther Matheis
    10.August 2021
    Gut 63 Prozent unserer Bevölkerung sind bereits mindestens einmal geimpft. Im internationalen Vergleich ist das durchaus respektabel. Jedoch hat sich in den Sommerwochen das Impftempo leider deutlich verlangsamt. Von der angestrebten Herdenimmunität sind wir – gerade mit Blick auf die Gefahren einer vierten Welle – leider noch sehr weit entfernt. Zu weit. Angesichts der besonders virulent vorherrschenden Delta-Variante des Corona-Virus hat sich hierzulande eine Debatte um eine Impfpflicht entwickelt, die leider unsere Gesellschaft nachhaltig polarisieren könnte.

    Weltweit tätige Konzerne haben bereits erste Maßstäbe gesetzt. Es gibt eine Impfpflicht für deren Mitarbeiter. Mehrere EU-Staaten haben die Impfpflicht für Mitarbeiter im Gesundheitswesen erlassen. Fußballclubs schränken hierzulande den Stadionzugang ein. Sie alle eint das Ziel, die verheerende Pandemie zu bezwingen. Brauchen wir hierzulande ebenfalls eine Impfpflicht? Das wird in der Ärzteschaft kontrovers diskutiert.

    Sowohl Bundeskanzlerin Merkel als auch Gesundheitsminister Spahn haben seit Beginn der Impfkampagne beteuert, dass es in Deutschland keine Impfpflicht geben wird. Führende Politiker äußern bereits ihre Zweifel an diesen klaren Absichtserklärungen.

    Nun, generell kennen wir auch hierzulande eine Impfpflicht. Ältere unter uns haben im Kindesalter die Verpflichtung zur Impfung gegen Pocken und Polio erlebt. Beide Viren fielen weltweit Millionen Menschenleben zum Opfer. Während Pockenviren heute komplett ausgestorben sind, konnten zwei von drei Polio-Virustypen ausgerottet werden. Das wurde nur durch weltweite, sehr erfolgreiche Impfkampagnen erreicht. Bei Corona ist das noch nicht absehbar.

    Heute müssen hierzulande alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen, in Schulen und Kindergärten gegen Masern geimpft ein. Dafür gibt es überzeugende Gründe. Eine Impfpflicht für Windpocken wird in naher Zukunft erwartet. Stehen wir vor einer Impfpflicht für Corona?

    Als Ärztinnen und Ärzte wissen wir, dass wir die Corona-Pandemie – die weltweit schon über vier Millionen Menschenleben kostete – nur durch eine möglichst hohe Impfquote beenden können. Hygiene-Regeln oder Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten alleine werden sicherlich nicht ausreichen, das angestrebte Ziel jemals zu erreichen. Es wird letztlich auf die möglichst hohe Bereitschaft zur Impfung in der Bevölkerung ankommen. Es ist zielführender, hierzulande die Impfquote mit einer intensivierten, mehrsprachigen Aufklärung sowie gründlicher Beratung und mit niedrigschwellig aufsuchenden Impfteams zu erhöhen, denn wir brauchen mehr Impfungen.

    Mit einem staatlich verordneten Impfzwang werden wir diejenigen, die Ängste vor seltenen Nebenwirkungen haben, diejenigen, die nur skeptisch sind oder gar die strikten Impfgegner, nicht überzeugen können. Wie sollen wir mit Impfgegner verfahren, wenn sie eine Impfpflicht ablehnen? Geimpft oder Nicht-Geimpft darf nicht das Ergebnis eines staatlichen Impfzwanges werden!

    Wir müssen vielmehr intensiver dafür werben, dass eine gesellschaftliche Selbstverpflichtung des Einzelnen zum Impfen gegen Corona etabliert wird. Impfen ist vor allem eine Verpflichtung für sich selbst, denn der Geimpfte schützt in erster Linie sich selber vor schweren Erkrankungen, in zweiter Linie seine Mitmenschen.

    Blicken wir über unsere Grenzen: Wer sich monatelang auf seine Fernreise in die Tropen freut, bereitet sich schon in eigenem Interesse frühzeitig auf möglicherweise drohende Erkrankungen vor. Kaum jemand zögert, wenn er die geforderten Impfungen gegen Tropenkrankheiten braucht, um seinen Traumurlaub zu machen. Oftmals sind diese Impfungen sogar kostenpflichtig. Die Impfzwänge andere Staaten – etwa gegen Cholera, Gelbfieber, Hepatitis A, japanische Enzephalitis, Tollwut oder Typhus – akzeptieren alle Reisenden ohne Zögern, obwohl bei jeder Impfung Nebenwirkungen auftreten können.

    Wie soll es bei uns weitergehen? Sofern jeder Bürger ein Angebot zur Impfung gegen Corona bekommen hat, ist es durchaus legitim, künftig Nichtgeimpften nicht die vollen Freiheitsrechte zurückzugeben. Es muss jedem Bürger klar sein, dass die notwendigen individuellen Beschränkungen nur aufgehoben werden können, wenn jeder Bürger sich verantwortungsbewusst durch seine eigene Impfung vor einer schweren Krankheit schützt. So viel „Druck“ ist aus ärztlicher Sicht absolut zulässig. Es wäre folglich widersinnig, wenn Nichtgeimpfte künftig durch tägliches Testen alle Freiheiten zurückbekämen, noch dazu auf Kosten des Staates.

    Corona betrifft uns alle. Wir brauchen klare Regeln, um diese gefährliche Pandemie zu bezwingen. Hier muss der demokratisch legitimierte Staat differenziert entscheiden – zum Schutze des Lebens aller Bürger. Das bedeutet, dass Nichtgeimpfte eben nicht die gleichen Rechte wie bereits Geimpfte haben dürfen. Von Ihnen gehen in erster Linie die Infektionsrisiken für unsere Gesellschaft aus. Beim „Freitesten“ muss der Staat den PCR-Tests als Standard verlangen, selbstverständlich für Nichtgeimpfte kostenpflichtig – mit nur medizinisch begründeten Ausnahmen. Schnelltests reichen nicht. Alleingänge von Arbeitgebern – mit Repressalien verbunden – lehnen wir ab. Darüber hi­naus müssen wir die Forschung für ein wirksames Medikament forcieren, um Erkrankten helfen zu können. Hier muss der Gesetzgeber mit gleichem Nachdruck wie beim Impfen investieren.