• Massives Kliniksterben eingeläutet - längere Rettungswege gefährden Überlebenschancen von Notfallpatienten

    Echo auf G-BA-Pläne für stationäre Notfallbehandlungen
    21.April 2018
    Köln
    Selten hat eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) so viele Reaktionen an einem Tag hervorgerufen, wie die gestrige Entscheidung des G-BA zur stationären Notfallversorgung. „Wenn in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz künftig womöglich jedes zweite Krankenhaus für stationäre Notfallbehandlungen keine zusätzliche Bezahlung erhält, ist die gewohnte flächendeckende Versorgung von Notfällen durch diese neuen G-BA-Vorgaben stark gefährdet“, warnt der erste Vorsitzende des Marburger Bundes NRW/RLP, Dr. med. Hans-Albert Gehle. Der Marburger Bund NRW/RLP fordert die Landesregierungen in Mainz und Düsseldorf auf, die riskanten G-BA-Pläne zu stoppen und nicht umzusetzen.

    „Statt mit neuen Vorgaben vor allem kleinere Kliniken im ländlichen Raum letztendlich aus dem Versorgungsnetz zu vertreiben, sollten die betroffenen Krankenhäuser vielmehr kurzfristig und gezielt mit zusätzlichen Investitionsmitteln der Länder in die Lage gesetzt werden, die Vorgaben des G-BA-Beschlusses zu erfüllen“, fordert Hans Gehle eine höhere Investitionsförderung in NRW und RLP. Bundesweit sei sonst die Existenz der betroffenen 628 Kliniken in Gefahr.

    „Zwangsläufig werden sich die Wege der Rettungswagen zu den verbliebenden Kliniken verlängern. Es ist keine Frage, werden die G-BA-Pläne wirklich unverändert Realität, werden sich die Überlebenschancen von Notfallpatienten in vielen Fällen stark reduzieren, da etwa bei einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder schweren Unfallverletzungen nur kurze Fahrtzeiten in ein Krankenhaus gute Aussichten auf ein Überleben und spätere Heilung bieten.“

    Patienten suchen in Notfällen als erstes einen kompetenten Arzt. Die Fachärztliche Versorgung wird aber nur durch Rufdienste in Krankenhäusern sichergestellt. „Die vorgesehenen Änderungen des Rufdienstes in einen Bereitschaftsdienst durch die Zeitvorgabe von 30 Minuten bis zu Aufnahme der Behandlung durch einen Facharzt erfordert doppelt so viele Ärzte wie derzeit. Wir nehmen eine weitere Erhöhung der Belastung der von Ihm vertretenen Fach- und Oberärzte nicht hin. Sie sichern an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr die Fachärztliche Behandlung“, erklärt Dr. Hans-Albert Gehle.

    „Die Belastung der Vertragsärzte ist mit Zustimmung der Politik in den letzten Jahren durch den Aufbau neuer zentraler ambulanter Notfallstrukturen deutlich gesenkt worden. Es fehlen ambulante Strukturen, die die drohenden stationären Lücken auffangen könnten. Spezialfachärztliche Versorgung ist außerhalb der Öffnungszeiten ambulant gar nicht zu erreichen“, bilanziert Gehle. „Jetzt stattdessen zu verlangen, dass ein Facharzt zehn Tage und mehr im Krankenhaus schlafen und seine Gesundheit und das Familienleben riskieren soll, mündet zwangsläufig in Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz und geltende Tarifverträge.“

    „Zweifelsfrei sind alle Krankenhäuser verpflichtet, Notfall-Patienten unabhängig von den G-BA-Vorgaben zu versorgen, auch dann, wenn sie nach den neuen G-BA-Vorgaben dafür nicht bezahlt werden sollten“, unterstreicht Dr. Hans Gehle. Er erinnert, dass schon Mitte März die Vorsitzende der 26 MB-Bezirke in NRW und RLP davor gewarnt haben, das der G-BA die gesetzlich verbriefte Hoheit der Länder für die Krankenhausplanung unterwandert.“

    Deutliche Kritik an den G-BA-Plänen kam von der Ärztekammer Westfalen-Lippe und auch von beiden Dachverbänden der Krankenhäuser in NRW und RLP: „Der aktuelle Beschluss wurde auf Grundlage der Auswirkungsanalyse der Gesetzlichen Krankenkassen gemacht. Einwände der Krankenhausseite und der Bundesländer wurden weitestgehend ignoriert“, beklagt der Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, Jochen Brink. „Die Vorgaben des G-BA sind teilweise überzogen und gefährden die flächendeckende Notfallversorgung der Bürger in Nordrhein-Westfalen.“

    „Deshalb appellieren wir an den für die Krankenhausplanung zuständigen NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, den Beschluss des G-BA kritisch zu prüfen und eine gründliche Auswirkungsanalyse für die Gesundheitsversorgung in Nordrhein-Westfalen vorzunehmen. Wenn schon nicht in Berlin, dann muss wenigstens in Düsseldorf Qualität vor Schnelligkeit gehen, fordert die KGNW.

    Diese Bitte scheint zu verpuffen, denn der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) begrüßt den G-BA Beschluss: „Mit der Krankhausreform in NRW schaffen wir die richtigen Rahmenbedingungen, damit auch in Zukunft eine gut erreichbare und insbesondere qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung sichergestellt werden kann.“ Der Beschluss des G-BA liefere eine wichtige Grundlage seiner Krankenhauspolitik. Sein Ministerium werde jedoch aus regionaler Sicht prüfen und abschließend bewerten, ob Ausnahmen auch in Nordrhein-Westfalen notwendig sind, hieß es vage.

    Der westfälisch-lippische Kammerpräsident Dr. Theodor Windhorst nennt das neue Modell einen „unüberlegten Kahlschlag bei der Flächen-Notfallversorgung durch die Krankenhäuser, der letztendlich auch die gezielte triagierte Behandlung von Notfallpatienten gefährden kann“.

    Der GBA plant, dass zukünftig bundesweit nur 1120 von bisher 1748 Kliniken zusätzliche finanzielle Mittel für die stationäre Behandlung von Notfällen erhalten. Das Reformkonzept sieht drei Stufen der Notfallversorgung vor: Basisversorgung, erweiterte Versorgung, umfassende Notfallversorgung. Die Kliniken, die Notfallstrukturen vorhalten, bekommen Vergütungszuschläge. Krankenhäuser, die keiner Stufe zugeordnet werden können, erhalten keine Vergütung von Notfällen, müssen sogar durch Abschläge die anderen Leistungserbringer mitfinanzieren.

    Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler betont derweil hingegen, dass „die Gewährleistung einer flächendeckenden Notfallversorgung in den Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz oberste Priorität hat“. Eine bundesweite Regelung von Notfallversorgungsstufen müsse so gestaltet werden, dass die Sicherheit der Versorgung in allen Regionen des Landes gesichert ist. Sie kündigt notfalls Gegenmaßnahmen an.

    „Sollten sich aufgrund der jetzt vom GBA festgelegten Qualitätskriterien regional Versorgungslücken abzeichnen, werden wir von der Ausnahmeregelung für einzelne Krankenhäuser, die für die Aufrechterhaltung einer guten Notfallversorgung unabdingbar sind, Gebrauch machen“, unterstrich die Ministerin.

    „Einen Kahlschlag, wie von manchen befürchtet, wird es nach der Entscheidung des GBA in Rheinland-Pfalz aber nicht geben.“ Das Mainzer Ministerium will gegebenenfalls mit den betroffenen Krankenhäusern sprechen, ob sie Anpassungsmaßnahmen vornehmen wollen, um die Voraussetzungen der Basisversorgung zu erfüllen.

    Es sei erfreulich, reagierte der Vorsitzende der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz, Bernd Decker, „dass Gesundheitsministerin Bätzing-Lichtenthäler sofort erklärt hat, dass sie von der Ausnahmeregelung für einzelne Krankenhäuser, die für die Aufrechterhaltung einer guten Notfallversorgung unabdingbar sind, Gebrauch machen werde.“

    Detailliert kritisierte die KGNW die auf Wunsch der Krankenkassen definierten Kriterien des G-BA. „Ob ein Krankenhaus auf der Intensivstation mit zumindest sechs Betten zwei oder drei Beatmungsplätze zur Verfügung hält, kann jedenfalls kein Ausschlusskriterium für die Anfahrt des Rettungswagens mit Patienten in Not sein. Es ist realitäts- und praxisfern, festzulegen, dass ergänzend zu den 24 Stunden anwesenden diensthabenden Ärzten zusätzlich Fachärzte in Rufbereitschaft immer und überall jederzeit binnen 30 Minuten am Patienten anwesend sein müssen“, bemängelt Jochen Brink.

    „Es ist völlig inakzeptabel, dass Krankenhäuser, die an einer Stufe des Systems von Notfallstrukturen teilnehmen, zur Versorgung von ambulanten Notfällen eine Kooperationsvereinbarung mit den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen schließen müssen. Würde das aktuell von der KBV vorgestellte Konzept zur ambulanten Notfallbehandlung Realität, hätte mehr als die Hälfte der Kliniken zukünftig nicht mehr das Recht, stationäre Notfälle zu behandeln.“

    Jochen Brink erinnerte daran „die drei beim Bundesgesundheitsministerium in der Schublade liegenden Rechtgutachten zur Frage der ausreichenden demokratischen Legimitation des G-BA sollten schnellstmöglich das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Wir sehen das Gremium jedenfalls zunehmend kritisch. Struktur und Mehrheitsverhältnisse werden den weitreichenden Entscheidungen für die Daseinsvorsorge der Menschen in unserem Land nicht wirklich gerecht.“

    Der Vorstand der Ärztekammer Westfalen-Lippe vertritt die Position, dass eine sinnvolle und qualitativ gute Erstversorgung mit Triage (Verletztenbegutachtung) überall dort durchgeführt werden kann, wo Ärzte und Pfleger vorhanden sind. Auch in der Notfallversorgung sei die Qualitätsfrage für das gesamte System von hoher Bedeutung.