• Mehr Mut und Kreativität

    Dr. med. Thorsten Hornung: Künftige Ärztinnen und Ärzte müssen die nötigen praktischen und sozialen Kompetenzen erwerben können
    09.November 2020
    Seit acht Monaten hat das Coronavirus die Welt fest im Griff und eine Impfung ist nicht in Sicht. Die sog. Hygienekonzepte haben sich schon an den ersten Herbsttagen als unzureichend für die Pandemiekontrolle erwiesen. Jetzt starten fast 2.000 Medizinstudierende in unserem Landesverband in ihr erstes Semester. Weit über 10.000 Studierende kehren an die Universitäten zurück. Ein Studium bedeutet wissenschaftliches Lernen an einer Hochschule. Dies gilt insbesondere für die Medizin. Medizin ist nicht zuletzt eine praktische Wissenschaft. Für das eherne Ziel des guten Arztes braucht es aber weit mehr als ein theoretisches Studium der Bücher oder Videoanleitungen. Entscheidend ist neben dem Wissen die praktische Ausbildung, viel Erfahrung und ganz wichtig: reale Vorbilder im klinischen Alltag.

    Das universitäre Studium hat eben nicht nur eine theoretische und praktische Dimension. Auch die soziale Dimension spielt eine wichtige Rolle. Sie ist untrennbarer Bestandteil der universitären und ärztlichen Ausbildung. Gerade das Soziale hat aber unter der Pandemie schwer gelitten. Was früher der Kaffee in der Hochschulbibliothek, die Studierendenparty, das Teddybär-Krankenhaus oder das Treffen der MB-Studierendengruppe war, ist nun durch Videokonferenzen abgelöst worden. Zu glauben, die etablierte Infrastruktur der Universität ließe sich durch ein Softwarelizenzen ersetzen, das ist naiv!

    Was brauchen wir also für ein gelungenes Wintersemester 2020/2021? Für mich bedarf es vor allem einer gehörigen Portion Mut und Kreativität. Wir müssen Wege finden, damit die künftigen Ärztinnen und Ärzte die nötigen praktischen und sozialen Kompetenzen auch unter Pandemiebedingungen erwerben können. Für mich sind drei Dinge besonders wichtig:

    Gerade in der Pandemie gibt es viele Orte, an denen Studierende nicht nur praktisch lernen, sondern auch eine wichtige Stütze des Systems werden können. Medizinstudierende sind hochmotiviert. Unsere Studierenden haben schon im Frühjahr gezeigt, dass sie zu persönlichem Einsatz bereit sind. Ihre Mühe darf nicht umsonst sein. Die schamlose Ausbeutung der PJler als billige Arbeitskräfte darf nicht im Corona-Freiwilligendienst wiederholt werden. Ich fordere eine faire und angemessene Bezahlung auch für Studierende! Ich bin fest überzeugt, dass sie in der Pandemie noch Bedeutendes für die Gesellschaft leisten werden.

    Zudem muss die soziale Dimension des Studiums in den Fokus. Viele typische Studentenjobs sind in der Corona-Krise, z.B. in der Gastronomie oder auf Kongressen, verloren gegangen. Es darf aber nicht sein, dass Studierende aus sozialer Not ihr Studium abbrechen oder verlängern müssen.

    Speziell müssen wir uns um Erstsemester kümmern. Diese sind durch den Wohnortwechsel und Start in den neuen Lebensabschnitt besonders betroffen. Die typischen Erstsemester Einführungsveranstaltungen und der Präsenzunterricht liegen brach, sodass die soziale Interaktion und Integration nahezu gänzlich entfallen. Gerade die junge Generation ist sehr kreativ und kann uns vieles lehren.

    Nicht zuletzt dürfen wir jetzt aber nicht das Rad der Internationalisierung zurückdrehen. Im ärztlichen Beruf begegnen wir täglich einer Vielzahl von Sprachen und Kulturen. Austausch und Kontakt zu internationalen Studierenden vermittelt ärztliche Schlüsselfertigkeiten. Die Corona Pandemie hat aber viele Austauschprogramme, besonders das ERASMUS-Programm, gelähmt. Auch hier wünsche ich mir neue Ideen, Konzepte und vor allem Mut, etwas auszuprobieren. Gerade in diesen schwierigen Zeiten brauchen wir unsere Freunde und Nachbarn in Europa und der Welt mehr denn je!

    Zu guter Letzt müssen wir digitale Medien konsequent weiter nutzen. Es haben sich vor allem in Datenschutz und Benutzbarkeit einige Schwächen gezeigt. Diese müssen auf absehbare Zeit beseitigt werden. Auch haben wir gelernt, dass man nicht einfach eine physische Veranstaltung eins zu eins in den virtuellen Raum übertragen kann. Vielmehr muss das Format weiterentwickelt werden. Gerade Vorlesungen profitieren von räumlicher und zeitlicher Flexibilität erheblich. Vielerorts werden gut gemachte Onlinevorlesungen bis zu zehnmal mehr besucht als Präsenzveranstaltungen. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung.

    Aktuell müssen wir uns alle täglich auf immer neue Herausforderungen durch die Pandemie einstellen. Hier ist jeder Einzelne gefragt. Ich fordere aber auch die Politik auf, Hochschulen und Studierenden die nötigen Freiräume zu geben und Studierende bei den finanziellen Hilfspaketen nicht zu vergessen. Gelingt dies, freue ich mich auf viele neue und spannende Entwicklungen, die auch ein Katalysator für das Medizinstudium der Zukunft werden sollten.