• Meilenstein und Wegweiser?

    Kommentar von Dr. med. Hans-Albert Gehle zum Modellstudiengang OWL
    17.Februar 2021
    Ein wirklich bedeutender Schritt vorwärts? Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat Ende Januar den „Modellstudiengang Humanmedizin“ am Standort Bielefeld genehmigt. Das ist fraglos ein Meilenstein bei der 2017 beschlossenen Gründung der Medizinischen Fakultät OWL. Aber ist es auch ein Wegweiser? Als Marburger Bund NRW/RLP begrüßen wir die behördliche Genehmigung zum Ausbau der Studienplatzkapazitäten im westfälischen Landesteil außerordentlich. Das Projekt wäre gar nicht realisiert worden, wenn der frühere Präsident und heutige Ehrenpräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Prof. Dr. med. Theodor Windhorst, dieses einzigartige Vorhaben nicht über viele Jahre persönlich so unterstützt hätte.

    Die aktuelle Entscheidung der Landesregierung ist eine ausgezeichnete Stärkung des Wissenschaftsstandorts Ostwestfalen-Lippe. Der Lehr- und Wissenschaftsbetrieb soll im nächsten Wintersemester 2021/22 zunächst mit 60 Studenten beginnen. Das ist gewiss noch nicht genug. Erst ab 2025 werden etwa 300 Studierende in jedem Jahr in Bielefeld ihr Medizinstudium beginnen können. Aber auch wenn das erreicht ist, reicht es noch lange nicht, um den Ärztemangel wirksam zu bekämpfen.

    Das Evangelische Klinikum Bethel, das Klinikum Lippe und das Klinikum Bielefeld werden zusammen die Medizinische Fakultät OWL bilden. Die ersten beiden Chefärzte des Klinikums Bielefeld haben Ende Januar ihren Ruf als W3-Professoren an die neue Fakultät erhalten. Das Klinikum ist somit nun offiziell ein Campusteil, das Universitätsklinikum der Universität Bielefeld.

    Im Rahmen des Modellstudiengangs OWL können innovative Ausbildungskonzepte zur Verbesserung der ärztlichen Ausbildung erprobt werden. Wissenschaftliche und praktische Lehrinhalte können dabei früher als anderswo verknüpft werden. Auch der Bereich der Allgemeinmedizin soll intensiv gestärkt werden. Hier dürfen wir gespannt sein.

    Damit aber noch nicht genug: Wir fordern darüber hi­naus von der Landesregierung die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes durch eine Stiftungsprofessur an der Universität Bielefeld. Die Verankerung einer ÖGD-spezifischen Professur an der Medizinischen Fakultät OWL bietet die einmalige Möglichkeit, Studierende der Medizin direkt an die Themen der öffentlichen Gesundheit he­ranzuführen und die Bevölkerungsmedizin von Anfang an in der medizinischen Ausbildung zu verankern. 

    Durch Famulaturen und im Rahmen des Praktischen Jahres in den Gesundheitsämtern könnten Einblicke in die Arbeit des ÖGD gewonnen werden. Zudem eröffnet eine Stiftungsprofessur die Möglichkeit, die jeweiligen aktuellen Fragestellungen des ÖGD zeitnah zu identifizieren, die Entwicklung von Lösungsansätzen wissenschaftlich zu begleiten und gewonnene Erkenntnisse unmittelbar in die Praxis des ÖGD zu implementieren. 

    Nach dem Scheitern des deutlich kleineren Projektstudiengangs in Siegen im Vorjahr stellt die Medizinische Fakultät OWL die zentrale Maßnahme der Landespolitik dar, um den Ärztemangel in NRW durch eine erhöhte Ausbildungs-Kapazität bei den Studienplätzen zu bekämpfen. Wir fragen uns, warum werden die anderen Fakultäten nicht ausgebaut?

    Uns belastet der Ärztemangel täglich. Bis er behoben ist, dafür werden wir naturgemäß noch Geduld benötigen, aber wir wissen, wenn in sechs Jahren die ersten approbierten Ärztinnen und Ärzte in OWL ihren Beruf aufgreifen und sich zu Fachärzten weiterbilden lassen, ist das nur ein Teilerfolg. 

    Wir wissen aus Erfahrung, dass viele Absolventen vorzugsweise in der Region beruflich tätig werden wollen, in der sie ausgebildet wurden. Der sog. „Klebeffekt“ kann sicherlich den regionalen Ärztemangel in OWL verringern. Für den ländlich geprägten Raum OWL wird die neue Medizinische Fakultät von daher ab 2028 einen spürbaren großen Gewinn an neuen Ärzten bringen. Aber bringt sie auch genug gegen den landesweiten Ärztemangel? Leider wohl kaum!

    Machen wir uns nichts vor, angesichts der Überalterung der Ärzteschaft und des Abbaus von 1.000 Studienplätzen seit den 90er Jahren allein in NRW, brauchen wir bundesweit eine noch deutlich höhere Zahl an Studienplätzen. Die bestehenden Fakultäten müssen schnellstmöglich wieder ausgebaut werden – um mindestens 5.000 Studienplätze.

    Und auch die Teilstudienplätze – etwa in der Universitätsmedizin Mainz – müssen endlich zu Vollstudienplätzen umgewandelt werden. Wir sollten auch nicht mehr akzeptieren, dass junge Menschen ins Ausland abwandern müssen, um dort ihren Traumberuf Arzt zu erlernen. Hier bedarf es einer politischen Initiative. Wir werden uns weiter einmischen!