
Im einführenden Referat betonte Dr. med. Lydia Berendes, dass es gelte, „die verfassungsrechtlich bedingten Grundrechte der Frauen auf Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung als auch das Recht des Ungeborenen auf Leben sowie die spezifischen Implikationen für die Ärzteschaft zu beachten. Der Staat zückt aber mit dem Strafgesetzbuch das schärfste Schwert.“
„Unsere Position ist es, den Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln und nach einem weiterhin verpflichtenden Gespräch in einer Beratungsstelle grundsätzlich zu erlauben“, sagte Lydia Berendes weiter. Damit würden ungewollt Schwangere entkriminalisiert und entstigmatisiert.
„Außerdem stärkt das die Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen. Auch ihre Arbeit wird entstigmatisiert. Dem Schutz des ungeborenen Lebens geben wir weiterhin seine Bedeutung, betonen aber, dass man die Lebensbedingungen der geborenen Kinder bei dieser Betrachtung mit einbeziehen muss. Der Schutz darf nicht mit der Geburt aufhören! In diesem Sinne gilt es die strukturellen Voraussetzungen des Lebens der Kinder in Deutschland zu verbessern. Hier kann die Gesellschaft die Verantwortung für Kinder gestalten.
An die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist in dem Beschluss des Deutschen Ärztetages die Pflicht zur Beratung geknüpft. „Die Beratungspflicht ist keine Pflicht“, äußerte sich Eleonore Zergiebel aus Düren, „sondern eine Chance für Frauen, die Gewalt erfahren haben oder unterdrückt werden. Für sie ist es die erste Chance, im Leben Hilfe zu bekommen. Deshalb bin ich für eine Beratungspflicht“, begründete Eleonore Zergiebel.
Beileibe keine Einzelmeinung: „Ich stimme aus Solidarität für die Beratungspflicht“, äußerte sich Dr. med. Patricia Kalle Droste aus Minden. „Es gibt Frauen, die nicht selbstbestimmt aufwachsen konnten. Für sie kann die Beratungspflicht der erste Schritt zur Selbstbestimmung sein.“
„In der aktuellen Rechtslage ist der Schwangerschaftsabbruch im Wesentlichen durch sein Verbot sichtbar“, erläuterte Dr. med. Leonie Malburg aus Köln. Es habe ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. „Hier und heute geht es um die ärztliche Perspektive - auch wenn juristische, ethische und wissenschaftliche Überlegungen naturgemäß nicht ganz losgelöst sind.“
Fraglich sei, wie berücksichtige man die Rechte der ungewollt Schwangeren, der gewollt Schwangeren, und des ungeborenen Lebens? „Wie kann man Fürsprecherin, Fürsprecher für alle sein? Eine Antwort darauf gibt unser Antrag“, sagte Leonie Malburg weiter.
„Der Schlüssel liegt für uns in drei Punkten: In der Herausnahme des Schwangerschaftsabbruchs im ersten Trimenon aus dem Strafgesetzbuch. Beteiligte werden unnötig kriminalisiert - mit weitreichenden Folgen: gesellschaftlicher Stigmatisierung und erschwertem Zugang zur Kostenübernahme durch die Krankenversicherung. Zudem in der Beibehaltung der verpflichtenden, ergebnisoffenen Konfliktberatung.“
Zu guter Letzt in der ausdrücklichen Benennung und Forderung umfassender Maßnahmen zum Schutz und zur Versorgung von Frauen, Schwangeren, Kindern vor und nach der Geburt sowie von Familien insgesamt.
Denn es ist nicht ehrlich, einen nicht eigenständig lebensfähigen Embryo im frühen Stadium für besonders schützenswert zu erklären, wenn man zugleich nach der Geburt beim Schutz und der Unterstützung der betroffenen Frauen und Familien - etwa bei Wohnraum, frühkindlicher Förderung oder Betreuung - dramatisch scheitert. Ich bitte Sie, diese Resolution zu unterstützen. Sie fordert die Entkriminalisierung, die Beibehaltung der Konfliktberatung und vor allem eine Stärkung des Schutzes und der Unterstützung des Lebens nach der 12. Woche und nach der Geburt.“
Der Schwangerschaftsabbruch berührt - wie kaum eine andere Frage - persönliche ethische Überzeugungen: „Am liebsten würde ich für diesen Antrag werben“, bekundete Rudolf Henke, Ehrenpräsident der Ärztekammer Nordrhein, in der fast zweistündigen Debatte. „Aber ich kann das nicht.“
Die Rechte der Mütter und der ungeborenen Kinder seien im Grundgesetz verankert. Alle Menschen seien vor dem Grundgesetz gleich. „Wir haben im Genfer Gelöbnis geschworen: `Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patienten respektieren. Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.´“, zitierte Rudolf Henke. „Und jetzt treffen wir hier eine pauschale Entscheidung, dass das Strafrecht nicht wirksam sein kann. Wo kann denn da noch eine Sanktion stattfinden?“
Der nordrheinische Kammerpräsident Dr. med. Sven Dreyer bedankte sich ausdrücklich bei Dr. med. Lydia Berendes, dem Lenkungsausschuss der AEKNO und „dem Deutschen Ärztetag, der sich die nötige Zeit für diese Debatte genommen hat. Kein Antrag ist so gut formuliert und von allen Seiten bedacht worden, wie der Antrag aus der nordrheinischen Ärzteschaft“, lobte er die gut einjährige Vorbereitungsarbeit.