• Schwieriger Spagat

    Kommentar von Dr. med. Hans-Albert Gehle
    26.Oktober 2022
    Unser Beruf des Arztes ist begehrt, das belegt nicht nur die hohe Zahl an Studienplatzbewerbern, die das fraglos zu knappe Angebot an Studienplätzen um ein Vielfaches übertrifft. In unserem beruflichen Alltag erleben wir immer wieder ein hohes Ansehen bei unseren Patienten und nicht zuletzt in der Bevölkerung. Doch unser Sozialprestige ist auch in Gefahr. Patienten haben Angst vor einer Behandlung im Krankenhaus – das ist das Ergebnis einer Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). Jeder vierte Deutsche fürchtet sich demnach vor einer Behandlung im Krankenhaus. Die Zahlen haben sich deutlich verschlechtert. Es ist erschreckend, wie weitreichend die Folgen dessen sind, was wir Ärztinnen und Ärzte tagtäglich im Krankenhaus erleben. Es wird vermutlich nicht mehr lange dauern, bis Patienten auch Ängste vor uns Ärztinnen und Ärzten selber haben. Warum?

    Die Rahmenbedingungen unserer ärztlichen Berufsausübung haben sich über Jahre schleichend und letztlich massiv verändert. Das viele Jahrzehnte lang hohe Sozialprestige unseres Berufes ist durch die fortschreitende Ökonomisierung der Medizin und weitreichenden Folgen des Ärztemangels gesunken.

    Wir haben doch das Medizinstudium als junge Menschen aufgenommen, weil wir anderen Menschen nach bestem Wissen und den Möglichkeiten der modernen Medizin helfen wollen. Patienten erlebten früher Ärztinnen und Ärzte als stets Ihnen zugewandte Helfer in ihren gesundheitlichen Notlagen. Gerät unser ärztliches Handeln mittlerweile zu einer mechanisierten Leistung in standardisierten Gesundheitsfabriken?

    Wir können in unserem jüngsten MB-Monitor ablesen, wie unzufrieden Klinikärzte mittlerweile sind. Wir wissen, wie viele Überstunden geleistet werden müssen. Wir kennen die enorme Arbeitsverdichtung und die sich daraus ergebende sinkende Arbeitszufriedenheit. Wir erleben alle den zunehmenden Stress, der nicht nur unser Privatleben stark einengt, sondern unsere Gesundheit gefährdet.

    Längst hat sich unser Berufsalltag verändert. Patienten empfinden sich selber dadurch mitunter nur noch als „Werkstück“ in einem industriell geführten Behandlungsprozess, nicht mehr als ein individuell zu behandelnder Mensch mit seinen höchst individuellen Erkrankungen. Uns fehlt die nötige Zeit für unsere Patienten. Uns fehlen Kolleginnen und Kollegen.

    Mehr Zeit für Patienten fordern wir seit vielen Jahren mit guten Gründen. Überbordende Bürokratie und immer wieder neue Dokumentationen rauben uns aber weiterhin leider wertvolle Arbeitszeit für unsere Patienten. Ich frage mich, ob wir mit unserer Tarifpolitik wirklich den richtigen Weg gehen?

    Wir haben in den vergangenen Jahren unseren Schwerpunkt auf die Begrenzung der Arbeitszeit und die Senkung der Gesamtarbeitslast gelegt. Wie weit kann es gelingen, dass im Klinikalltag umzusetzen, solange die ökonomischen Rahmenbedingungen und die auf Kostenbegrenzung und mehr Wirtschaftlichkeit zielenden Steuerungsversuche der Gesundheitspolitik unsere ärztliche Autonomie gefährden und sogar einschränken.

    Ist der Verlust unseres hohen Sozialprestiges nicht unausweichlich? Wie lange können wir den schwierigen Spagat zwischen medizinischer und ökonomischer Orientierung überhaupt noch bewältigen? Wie können wir zurückfinden zu einem patientenorientierten ärztlichen Handeln?

    Nicht nur ich habe den großen Wunsch, dass unser Arzt-Patienten-Verhältnis weniger durch ökonomisch ausgerichtete gesundheitspolitische Vorgaben beeinträchtigt wird, sondern durch die hohe Qualität unserer Profession und unsere persönliche Patienten-Zuwendung.

    Es ist Zeit, sich unserer ärztlichen Rolle wieder bewusster zu werden und unser Verständnis des ärztlichen Berufes offensiver nach außen zu tragen. Jenseits jeglicher ökonomischer, aber auch tariflicher Überlegungen. Arzt-Sein im Sinne des ewigen sozialen Gewissens unserer Gesellschaft. Dafür müssen wir gemeinsam stärker kämpfen.