• „Sind Renditevorgaben für ein Krankenhausbetrieb nicht unanständig?“

    Hauptversammlung - Dr. med. Günther Matheis: „Nur wir Ärztinnen und Ärzte haben die Expertise zu sagen, was medizinisch richtig und notwendig ist.“ / Alle Beschlüsse
    30.September 2021
    Lahnstein (mhe). „Wo sind wir eigentlich gelandet, möchte ich fragen.“ Mit diesen Worten eröffnete Dr. med. Günther Matheis seinen Vortrag auf unserer Hauptversammlung, die sich dem Thema der „Kommerzialisierung in der Medizin“ widmete. Der amtierende Präsident der Landesärztekammer RLP mahnte, „es gibt dringenden Handlungsbedarf: Die Zustände für die Ärzteschaft und die Pflegekräfte sind unerträglich geworden. Die Arbeitsbelastung steigt. Der Stress steigt. Die Arbeitszufriedenheit und Motivation sinken. Wer trägt dafür die Verantwortung? „Die Ursache ist ein Politikversagen. Es ist nicht das Ergebnis der marktwirtschaftlichen Kräfte. Tatsache ist, die Politik überlässt die Entwicklung des Gesundheitswesens den freien Marktkräften“, kritisierte Dr. med. Günther Matheis, der Spitzenkandidat des Marburger Bundes bei den rheinland-pfälzischen Kammerwahlen im Oktober ist.

    Günther Matheis verwies auf das zuletzt in der Öffentlichkeit diskutierte Beispiel des Helios-Konzern: Nicht nur durch Standardisierungen und den Größenvorteil schaffe Helios den Erfolg am Markt. „Fünf Jahre nach dem Erwerb eines Krankenhauses will Helios 15 Prozent Rendite erzielen. „Das lässt sich derzeit nirgendwo sonst auf dem Kapitalmarkt erzielen. Das erreicht der Konzern aber nur durch Stellenstreichungen und günstigeres Auslagern von Geschäftsbereichen. Ich wage die Frage, sind solche Renditevorgaben für ein Krankenhausbetrieb nicht unanständig?“

    Günther Matheis betonte ferner, dass „wir Ärztinnen und Ärzte den nötigen Paradigmenwechsel weiter fordern müssen, um den Dammbruch aufzuhalten. Wir werden kurzfristig keinen Erfolg haben können, aber wir sind dennoch wirkmächtig, denn ohne uns Ärztinnen und Ärzte geht es nicht! Wir müssen die ständige Unterminierung unserer ärztlichen Freiberuflichkeit in Kliniken beenden. Vergessen wir nicht, nur wir Ärztinnen und Ärzte haben die Expertise zu sagen, was medizinisch richtig und notwendig ist.“

    Der Sozialwissenschaftler Dr. Christoph Scheuplein verwies in seinem Vortrag in Lahnstein darauf, dass seit 2015 Finanzinvestoren massiv in das Gesundheitswesen mit ihrem Kapital einsteigen. „Finanzinvestoren haben von Gesundheit keine Ahnung, aber sagen Medizinern, was sie tun sollen. Ihnen geht es dabei gar nicht um die Patientenversorgung, sondern lediglich um die Gewinne. Nach kurzer Zeit sind sie dann wieder weg.“

    In der Regel werden Fonds für zehn Jahre aufgelegt. Vorwiegend werden Gelder von Stiftungen und Versicherungen investiert. Das zeitlich befristete Geschäftsmodell der Privaten Kapitalgeber: Gekauft wird, um irgendwann wieder verkaufen zu können, um so maximale Rendite zu erzielen. Gerne werden dabei auch Steueroasen genutzt.

    Zwei Gesetze des Bundes haben den Dammbruch bewirkt: 2004 begann die Entwicklung nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz – oftmals nur mit Zusatzleistungen. Diese Entwicklung intensivierte sich stark nach dem GKV-Versorgungstärkungsgesetz im Jahr 2015. „Zunächst traf es im ambulanten Bereich Zahnärzte, Augenärzte und Radiologen. Mittlerweile breiten sich private Investorenketten auch im Bereich der Allgemeinmedizin, Kardiologie und vorzugsweise in MVZ aus“, sagte Dr. Christoph Scheuplein.

    Bei Augenärzten haben Investoren seit 2011 bereits 30 Prozent der Praxen übernommen, 400 Praxisstandorte und 5.000 Beschäftigte sind betroffen.

    „Die Gründe sind einfach: Der Boom wird getragen von einem unglaublichen Kapitalzufluss auf der Investorenseite. Die sehr stabilen Einnahmen im Gesundheitswesen locken an. Dieser Prozess wird vorerst nicht enden, prognostizierte Scheuplein. „Der Kapitalzufluss ist ungebrochen stark. Die Ketten werden sich ausdehnen, auch über Ländergrenzen in ganz Europa. Das lässt sich jedoch ändern.“

    "Wir brauchen zunächst ein Transparenzregister, heute wissen doch selbst die KVen nicht, wem welches MVZ gehört. Unverzichtbar sei, die ärztlichen Entscheidungen stärker zu schützen. Letztlich müsste es jedoch Einschränkungen bei der Akquisition der privaten Investoren geben, um den Kapitalabfluss aus dem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen zu stoppen."

    Prof. Dr. med. Lothar Rudig bilanzierte als dritter Referent die Veränderungen in den letzten drei Jahrzehnten in der Patientenbehandlung. „Aus dem Maschinenraum der Chirurgie“ war sein Vortrag betitelt. In der Generation 4.0 gebe es ein gefährliches, zumeist aus dem Internet geprägtes medizinisches Halbwissen. „Wir stellen fest, dass der gesunde Menschenverstand abnimmt.“

    Zugleich sei im Laufe der Zeit das Bild des Arztes als Heilers demontiert worden. Auch sein Rollenverständnis habe sich verändert. „Daraus resultiert insgesamt ein Verlust an Glaubwürdigkeit.“ Festzustellen sie auch die zunehmende Sucht nach Rating und Ranking sowie im Klinikbetrieb das neue Schlagwort der „Ambulantisierung“, das heißt dem ständigen Streben nach weiterer Verkürzung der Verweildauer.

    Veränderungen beobachtete Prof. Rudig auch in der Verwaltung in Kliniken: „Verwaltung war gestern, Geschäftsführung ist heute. In der Verwaltung haben kompetente Verwalter mittlerweile ausgedient. Fachkräfte, für was auch immer, sind gefragt. Es hat sich eine neue Ebene der Selbstverwaltung herausgebildet. Ein absurdes Theater.“

    Das Umfeld der medizinischen Behandlung sei leider immer stärker von der Vorgabe „Zeit ist Geld“ geprägt. „Aber, ein klassisches Orchester wird doch nicht besser, wenn es immer schneller spielt.“

    „Das Effizienzstreben steht notwendigen Lernprozessen jüngeren Ärzte im Weg.“

    Sein Fazit: "Als Ältere müssen wir der jüngeren Ärzte-Generation immer stärker vermitteln, auf was es wirklich ankommt. Bewahre Deine chirurgischen Grundlagen, behüte sie und wende sie unermüdlich an. Was der Nachwuchs dann daraus macht, liegt allerdings nicht mehr in unserer Hand."