• Stehen wir vor einer neuen Ära?

    Kammerpräsident Dr. med. Hans-Albert Gehle blickt zurück auf den 129. Deutschen Ärztetag
    14.Juni 2025
    Stehen wir vor einer neuen Ära? Zählt künftig ärztliche Expertise in der Berliner Gesundheitspolitik? „Wir haben in Leipzig einen Ärztetag erlebt, der beim Besuch der neuen Bundesgesundheitsministerin eine ganz andere Grundstimmung hatte als in den vergangenen Jahren. Was Nina Warken sagte, haben wir in dieser Form lange nicht gehört. Die Ministerin setzt auf eine neue Bereitschaft zum Dialog, sie möchte Vertrauen stärken, sie will Gespräche auf Augenhöhe zwischen Politik und ärztlicher Selbstverwaltung“, bilanzierte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe bei der Eröffnung der 4. Kammerversammlung in Münster.
    Kammerpräsident Dr. med. Hans-Albert Gehle blickte in der 4. Kammerversammlung zurück auf den 129. Deutschen Ärztetag.
    Kammerpräsident Dr. med. Hans-Albert Gehle blickte in der 4. Kammerversammlung zurück auf den 129. Deutschen Ärztetag.

    Gehle blickte zurück auf die Kernthemen des 129. Deutschen Ärztetages. „Das Thema Künstliche Intelligenz stand prominent auf der Tagesordnung, denn die KI beschäftigt uns als Ärztinnen und Ärzte immer mehr. Wie so vieles Neue teilt auch die KI die Ärzteschaft in zwei Lager: Die einen heißen sie willkommen, sind innovationsbereit bis euphorisch, die anderen warnen vor unkalkulierbaren Folgen und sind zurückhaltend bis ablehnend. Und wer hat Recht? Beide!“, unterstrich Gehle.

    „Wenn es um KI im Gesundheitswesen geht, müssen wir Ärztinnen und Ärzte mitreden, mitentwickeln, mitentscheiden“, forderte Dr. med. Hans-Albert Gehle. „Ohne uns geht das nicht, sonst wird KI im Gesundheitswesen zwar ein ganz großes Ding für IT-Experten, für Datensammler und Investoren, aber nicht für die Patientinnen und Patienten und für uns, die wir die Menschen versorgen. Verweigerung bringt uns nicht weiter, im Gegenteil“, warnte Dr. Gehle weiter.

    „Die Chancen, die aus dem KI-Einsatz entstehen, sind riesig, ohne Zweifel. Der Ärztetag hat aber auch klargemacht: KI hat Grenzen. Es ist beeindruckend, wenn sich eine Maschine beim Deep Learning selbstständig immer mehr Wissen erschließt. Aber die Maschine kann nicht empathisch sein, auch wenn sie das vorgaukelt. Sie fühlt nicht, riecht nicht – ärztliche Arbeit hat viel mit unseren fünf Sinnen zu tun, die KI ist da sehr eingeschränkt.“

    Gehle forderte, „es muss sehr deutlich und transparent werden, wo KI überall mitwirkt. Und, darüber gibt es keine Diskussion: Die Verantwortung für Diagnostik, Indikationsstellung und Therapie muss beim Menschen bleiben, sie bleibt bei Ärztin oder Arzt. Was ich aus Leipzig mitgenommen habe: Wir Ärztinnen und Ärzte müssen uns fit machen für die KI! Sie muss Thema im Medizinstudium sein, sie gehört in die Weiterbildung.“

    Neben der ärztlichen Weiterbildung und der neuen GOÄ erinnerte Dr. med. Hans-Albert Gehle auch das intensiv in Leipzig diskutierte Thema des Schwangerschaftsabbruchs. Der Ärztetag forderte: Die Regelungen für einen Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon sollen außerhalb des Strafgesetzbuches getroffen werden, dabei soll es ein verpflichtendes Beratungsangebot geben. Das wurde mit sehr großer Mehrheit beschlossen.

    „Es war dem Ärztetag wichtig, der Stigmatisierung entgegenzuwirken, die sowohl Frauen erfahren, die eine Abtreibung vornehmen wollen, als auch die Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser Frauen in ihrer Notlage annehmen. Entkriminalisierung, das wurde immer wieder geäußert, würde ein breiteres Angebot und damit eine verbesserte Versorgung dieser Patientinnen ermöglichen“, sagte Gehle.

    Der Ärztetag habe außerdem deutlich gemacht, dass kein Arzt, keine Ärztin zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden darf, genauso wenig wie er oder sie gezwungen werden darf, einen Abbruch zu unterlassen. „Das ist in der ärztlichen Berufsordnung so festgehalten, denn beides ist und bleibt eine persönliche Gewissensentscheidung – auch wenn auf die betroffenen Kolleginnen und Kollegen vielfach Druck ausgeübt wird, sei es durch Proteste vor den Praxen oder durch den Krankenhausträger als Arbeitgeber.

    Eine Frage ist am Ende leider offengeblieben, monierte Gehle: „Wo ist nun der richtige Ort im Gesetz, die schwierigen Fragen rund um einen Schwangerschaftsabbruch zu regeln? Das Strafgesetzbuch, soviel steht fest, ist es nicht – es hätte dem Ärztetag gut angestanden, einen Hinweis zu geben, wo die Regeln besser zusammengefasst sind.“