• Überfällige Kehrtwende

    Dr. med. Hans-Albert Gehle zum Start der Umsetzung des neuen Krankenhausplans
    24.August 2022
    Die Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen steht in den nächsten Monaten vor gravierenden Änderungen. Der neue Krankenhausplan wird umgesetzt. Das bedeutet, dass für die gut 340 Kliniken in NRW Mitte November die Verhandlungen mit den Krankenkassen beginnen. Die praktische Umsetzung in den Regionen wird in naher Zukunft wohl zu den größten Veränderungen seit Jahrzehnten im bevölkerungsreichsten Bundesland führen. Der filigrane Veränderungsprozess wird bundesweit aufmerksam beobachtet, da NRW in der Krankenhausplanung eine ebenso ambitionierte wie vielversprechende Vorreiterrolle übernommen hat.

    Warum braucht es einen neuen Krankenhausplan? Die wirtschaftliche Lage vieler Kliniken in NRW ist seit Jahren desolat. Ein großer Anteil der ohnehin chronisch unterfinanzierten Krankenhäuser ringt seit Jahren um die wirtschaftliche Existenz. Immer wieder rutschen Kliniken in die Insolvenz. Corona hat durch Einnahmeverluste die wirtschaftliche Situation der Kliniken nochmals empfindlich verschlechtert.

    Warum? Es mangelt ganz grundsätzlich an einer ausreichenden Finanzierung der Investitionskosten durch das Land, sodass Kliniken Einnahmen aus dem laufenden Betrieb zweckentfremden müssen. Da sich die Einnahmen durch die notwendige Vorhaltung von Kapazitäten für Corona-Patienten empfindlich reduziert haben und nicht mehr ausgeglichen werden, beklagen zunehmend mehr Kliniken existentielle Sorgen.

    Ferner mangelt es seit Jahren in nahezu jeder Profession in den Kliniken an Fachkräften. Auch das reduziert naturgemäß die Möglichkeiten, die Einnahmen durch Operationen und Behandlungen zu erhöhen. Coronabedingte Personalausfälle verschärfen aktuell die schwierige Lage. Im Ergebnis regelt zurzeit leider vornehmlich der Markt mit all seinen Mängeln das Angebot an stationärer medizinischer Leistung. Das soll und muss geändert werden.

    Als Vertretung der Klinikärzte haben wir uns in den vergangenen Jahren mit unserer Fachexpertise über die beiden Ärztekammern sehr aktiv und erfolgreich an dem neuen Krankenhausplan beteiligt. Wir sind überzeugt, dass wir die Gestaltung unserer Krankenhauslandschaft nicht länger den ungesteuerten Kräften eines freien Marktes überlassen dürfen.

    Eine solche kalte, rein ökonomisch ausgerichtete Planung ohne jegliche detaillierte regionale Bedarfsplanung führt etwa durch Schließungen zu Lücken in der stationären Versorgung. Auch hat der freie Markt die Kliniken immer stärker in eine wirtschaftliche Konkurrenz getrieben. In Ballungsräumen bildete sich ferner mitunter ein Überangebot an spezialisierten Leistungen. Das macht in der Ära der Unterfinanzierung und des Personalmangels wenig Sinn. Wir wissen, wir brauchen für eine hochwertige und flächendeckende stationäre Versorgung dringend mehr Kooperation statt der gewohnten Konkurrenz.

    Die Umsetzung des neuen Krankenhausplanes bedeutet in dieser Situation eine längst überfällige Kehrtwende. Wir müssen unsere begrenzten Ressourcen gezielter einsetzen, denn wir wissen ja, dass es beim ärztlichen Personalmangel aufgrund fehlender Studienplätze in den nächsten zehn Jahren leider keine Verbesserungen geben wird. Es muss ein Spagat zwischen flächendeckender Grundversorgung und sinnvoller Spezialisierung gelingen. Qualität muss ein zentraler Maßstab werden.

    Ich stimme Rudolf Henke völlig zu, dass sich die stärkere Spezialisierung einzelner Kliniken nicht negativ auf die Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses auswirken darf. Unsere jungen Kolleginnen und Kollegen müssen auch zünftig umfassend und in der ganzen Breite ihres Faches weitergebildet werden können. Dafür bedarf es verbindlicher und trägerübergreifender Weiterbildungsverbünde zwischen Kliniken der Spezial- und der Regelversorgung.

    In den kommenden Monaten wird in den Regionen entschieden, wer welche medizinischen Leistungen künftig noch anbieten darf. Wir dürfen diese Entscheidungen nicht kaufmännischen Geschäftsführern überlassen. In allen Kliniken müssen sich jetzt Ärztinnen und Ärzte mit ihrer Expertise engagieren und in den Prozess einbringen. Ohne ärztlichen Sachverstand wird der Veränderungsprozess scheitern.

    Aber auch die Träger sind gefordert: Was bisher meist ein Tabu war, muss gelingen: Regionale Klinikverbünde müssen trägerübergreifend aufgestellt werden. Die Zukunft in NRW gehört einer solchen neuen Zusammenarbeit, bei der zweifellos vorher auch manche juristische Hürde überwindet werden muss.

    Unsere Landesregierung darf sich mit dem Beginn der Verhandlungen nun nicht entspannt zurücklehnen und auf die Entscheidungen vor Ort warten. Der Prozess der regionalen Krankenhausplanung kann nämlich nur gelingen, wenn aus Düsseldorf mehr Geld für Investitionen an die Kliniken fließt. Strukturelle Veränderungen können unsere Kliniken nicht selber stemmen. In den nächsten Jahren benötigen wir mindestens zwei Milliarden Euro jährlich zusätzlich für diesen anspruchsvollen Veränderungsprozess, hat die KGNW berechnet. Düsseldorf muss klar sein, ohne ausreichende Finanzmittel für die 340 Kliniken wird die Umsetzung des neuen Krankenhausplanes in NRW scheitern.

    Bis etwa Mitte des nächsten Jahres sollen die neuen regionalen Versorgungskonzepte zwischen den Kliniken und Kassen vor Ort ausgearbeitet sein, scheitern die Verhandlungen jedoch, greift am Ende das nordrheinwestfälische Gesundheitsministerium ein. Wir hoffen daher, dass alle Beteiligten sich in den nächsten Monaten ihrer großen Verantwortung bewusst sind, denn es geht immerhin um die hohe Qualität der medizinischen stationären Versorgung von 18 Millionen Bürgern in NRW.