• „Unsere Staatsform ist gefährdet.“

    Parlamentarisches Sommerfest der ÄKWL | Polizeipräsidentin verurteilt Angriffe auf Helfer | Kammerpräsident fordert stärkeren Schutz
    26.Juni 2025
    Es ist kaum verständlich: Gewalt gegen Helfer, Gewalt gegen Menschen, die sich in den Dienst der Allgemeinheit stellen. „Das kann ich als Arzt und als Bürger nur schwer ertragen und das können wir als Ärztekammer, die sich für ihre Kammerangehörigen einsetzt, erst recht nicht hinnehmen“, unterstrich Dr. med. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe bei der Eröffnung des Parlamentarischen Sommerfestes im Garten der Ärztekammer. „Mehr noch: Die Gesellschaft darf nicht akzeptieren, dass eine kleine Gruppe aggressiver Patienten, Angehöriger und Gaffer bei Rettungseinsätzen, in Notaufnahmen und Praxen die Arbeit lahmlegt, damit indirekt anderen Patientinnen und Patienten schadet und am Ende sogar Fachkräfte aus dem Beruf treibt, die wir dringend benötigen!“, betonte Dr. med. Hans-Albert Gehle weiter.
    ÄKWL-Präsident Dr. med. Hans-Albert Gehle begrüßte Münsters Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf und Polizeioberrat Andre Niewöhner.
    ÄKWL-Präsident Dr. med. Hans-Albert Gehle begrüßte Münsters Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf und Polizeioberrat Andre Niewöhner.

    Erst im Februar gab es in Spenge einen Angriff auf einen hausärztlich tätigen Kollegen, bei dem dieser in seiner Praxis von einem Patienten krankenhausreif geschlagen wurde. „Im vergangenen Jahr haben wir unsere Kammerangehörigen nach Erlebnissen von Gewalt in den verschiedensten Formen befragt. Rund 4500 haben damals geantwortet. 2900 – das sind zwei Drittel – haben uns berichtet, schon von Gewalt betroffen gewesen zu sein, nicht nur im Krankenhaus, nicht nur im Rettungsdienst, sondern gerade auch in der ambulanten Patientenversorgung. Das ist erschreckend, und ich weiß aus vielen Gesprächen: Solche Ereignisse belasten die betroffenen Kolleginnen und Kollegen und auch ihre Mitarbeitenden massiv – Gewalt macht krank!“

    Was tut die Ärztekammer? „Einiges! Das Sichtbarmachen von Gewalt im Gesundheitswesen und Gewaltprävention stehen seit Jahren auf unserer Agenda. Neben eigenen Projekten beteiligen wir uns an Initiativen wie der gemeinsamen Initiative gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt im Gesundheitswesen, die unter Federführung des Landesgesundheitsministeriums über 30 Organisationen des Gesundheitswesens zusammengeführt hat.“

    „Wir sind außerdem und ganz aktuell beteiligt am Präventionsnetzwerk „Sicher im Dienst“. Das Netzwerk geht weit über das Gesundheitswesen hinaus, von einem übergreifenden Ansatz können wir in Praxen und Kliniken sicher lernen und profitieren.“

    „Die Menschen im Gesundheitswesen, die bei ihrer Arbeit mit Gewalt bedroht oder angegriffen werden, müssen stärker geschützt werden! Das fordert unsere Ärztekammer seit Jahren, und ich habe das bei einem Besuch im Bundestag in Berlin erst vor drei Wochen mit den Münsterländer CDU-Abgeordneten Anja Karliczek, Stefan Nacke, Marc Henrichmann und Henning Rehbaum besprochen.

    Die Kammer macht sich für die Novellierung des § 115 Abs. 3 StGB stark. Wir wollen eine Ausweitung des Personenkreises, der durch diesen Paragraphen geschützt wird. Es geht darum, dass Angriffe auf oder Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamte gleichstehen, mit einer höheren Strafe belegt sind. Bislang umfasst das neben Polizisten und Feuerwehrleuten lediglich Ärztinnen und Ärzte im Notdienst. Die Regelung sollte jedoch auf alle hilfeleistenden Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Personal unabhängig vom Notdienst ausgeweitet werden. Damit wollen wir eine präventive abschreckende Wirkung erreichen und auch hervorheben, welchen großen Wert die Arbeit medizinischer Fachkräfte für unsere gesamte Gesellschaft hat.

    „Wie kommt es dazu, dass ausgerechnet die Menschen angegriffen werden, die anderen helfen?“, fragte die Gastrednerin Alexandra Dorndorf, Polizeipräsidentin von Münster. „Das Vertrauen der Bevölkerung, dass wir unser Zusammenleben noch hinkriegen, reduziert sich von Jahr zu Jahr. Wir benötigen schonungslose Ehrlichkeit."

    "Wenn das Vertrauen in den Staat verloren geht, dann arbeiten sich die Menschen an denen ab, die den Staat verkörpern. Das sind u.a. Ärzte und Polizisten.“ Beide Berufsgruppen zählten ansonsten bei Umfragen noch zu denen, die die höchste Wertschätzung erhalten. „Doch Kriege, tägliche Sabotage und Spionage auch hierzulande und zahlreiche Anschläge – all das gefährdet unsere innere Sicherheit, das belastet unsere Bevölkerung“, warnte Alexandra Dorndorf.

    Die Polizei habe einen klaren Auftrag: „Wir schützen, was wir schätzen. Wir sind dabei im guten Austausch, auch mit der Ärztekammer. Die Institutionen müssen besser zusammenarbeiten. Wir müssen alle rein ins Team. Wir brauchen vor allem mehr Geschwindigkeit“ betonte Alexandra Dorndorf. Unsere Staatsform sei gefährdet.

    Die nächsten vier Jahre seien entscheidend. „Unsere neue Bundesregierung trägt eine Verantwortung, wie es wohl keine andere zuvor seit dem Kriegsende hatte. Aber, wenn 50 Prozent der Bevölkerung unsere Demokratie ablehnen, was in östlichen Bundesländern durchaus schon der Fall ist, muss uns die Festigung der friedlichen Form des Zusammenlebens gelingen, sonst kann es passieren, dass wir unsere Staatsform aufgeben müssen.“