• Wenn das schwarze Dreieck auf dem Kopf steht

    84. Fortbildungskongress Norderney
    16.Mai 2017
    Norderney
    mhe. Die von der Bundesärztekammer und der KBV getragene Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) befindet sich bei Fragen der Bewertung neuer Medikamente in einem Dilemma. „Wir haben leider erhebliche Erkenntnislücken. Wir werden heute in vielen Bereichen mehr desinformiert als informiert“, betonte Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der AkdÄ vor rund 90 Ärztinnen und Ärzten bei der Eröffnung des Fortbildungskongresses der Ärztekammer Nordrhein im Kurtheater Norderney. Gut 400 Teilnehmer zählt der 84. Fortbildungskongress in diesem Frühjahr auf der Nordseeinsel.

    „Wir möchten schon wissen, ob ein neues Medikament besser und vor allem sicher ist. Oftmals haben wir aber nur eine einzige Studie vorliegen, um diese Fragen zu beantworten. Und wir wissen, dass 95 Prozent der Studien von Pharma-Herstellern gesponsert werden. Es sind nach unserer Ansicht deshalb mehr Studien auch nach der Zulassungsstudie nötig.“ Die Mehrzahl neuer Arzneien sei nämlich nicht besser. Bei Herstellern sei das angesagteste Wort für neue Arzneien „innovativ“. „Innovativ bedeutet aber oft nur neu, selten besser. Oftmals ist dieses Schlagwort leider irreführend“, bekräftigt Prof. Wolf-Dieter Ludwig.

    Medikamentenherstellung ist ein boomender Milliardenmarkt, in den USA, in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland gleichermaßen. „Neuzulassungen sind ein extrem lukratives Geschäft. Gut ein Drittel betrifft derzeit den Bereich Onkologie. Prof. Ludwig schaut beispielhaft auf den amerikanischen Markt. Er zählt dort 25 neue Blockbuster mit einem Umsatz von einer Milliarde Dollar weltweit und mehr pro Jahr. „Die Monatskosten betragen für neue onkologische Arzneien heute 4.000-6.000 Euro, noch vor ein paar Jahren lagen die bei nur 100 Euro.“ Es geht ums ganz große Geschäft.

    Es sei außerordentlich wichtig, dass Ärzte wissen, dass die Mehrzahl dieser Neuzulassungen nicht in einem regulären Verfahren zugelassen werden, sondern in einem beschleunigten Verfahren, weil man sich großen Nutzen von ihnen erhofft. „Das wäre ja auch sehr erfreulich, aber so ist es leider nicht. Aus der beschleunigten Zulassung resultiert eine große Unsicherheit über den tatsächlichen Nutzen. Nach weiteren Anwendungsbeobachtungen nach der Zulassung würden 50 Prozent der Packungsbeilagen geändert. 7,5 bis 20 Prozent erhielten dann sogar Warnhinweise und drei Prozent der neuen Arzneien werden wieder vom Markt genommen.

    Nahezu jedes neue onkologische Medikament sei mit einem auf dem Kopf stehenden schwarzem Dreieck ausgezeichnet. „Viele Ärzte wissen aber nicht, was dies bedeutet: Die Arznei steht schlicht unter besonderer Beobachtung, weil die Fragen zu seiner Sicherheit nicht eindeutig beantwortet werden können. Als Arzneimittelkommission haben wir das Interesse, dass neue Medikamente besser sind als die vorhandenen“, betont Prof. Wolf-Dieter Ludwig. 36 ordentliche und 128 außerordentliche Mitglieder - Mediziner, Juristen, Pharmazeuten - arbeiten in der bereits im Jahr 1911 gegründeten deutschen Arzneimittelkommission.

    Wie abhängig sind Ärzte heutzutage von der pharmazeutischen Industrie? Unabhängige Publikationen sind offenbar recht selten. Sehr bedenklich sei, führt Prof. Ludwig weiter aus, dass die hohe Mehrzahl der Leitlinien nicht frei von Einflüssen der Pharma-Hersteller sei. „105 von 129 Autoren haben etwas erhalten, 59 eine Finanzierung“, berichtete Prof. Wolf-Dieter Ludwig. Diese Interessenskonflikte bewertet er als „erschreckend. Das widerspricht eindeutig unseren geltenden Empfehlungen. So kann es nicht weitergehen, denn das Vertrauen in die Leitlinien wird so untergraben. Sie werden unglaubwürdig. Wir müssen lernen, damit umzugehen.“