• „Wir haben es lange noch nicht überstanden!“

    Dr. med. Frank Renken: „Zunehmend sind jüngere Menschen von schweren Verläufen betroffen.“
    23.März 2021
    Dortmund (mhe). Politische Versprechungen und die nüchterne Wirklichkeit klaffen beim Thema Corona mitunter weit auseinander: Der Bund-Länder-Gipfel hat gestern nach stundenlanger Sitzung u.a. beschlossen, dass in den Kindertagesstätten und Schulen "baldmöglichst" mehr getestet werden soll. Personal und Schüler sollen zwei Mal in der Woche getestet werden, um frühzeitig Corona-Infektionen zu erkennen und örtliche Ausbreitungen zu verhindern. Gelingt das vor Ort?

    Wie sieht es in der neuntgrößten deutschen Stadt aus? „In Dortmund sind wir als Kommune leider gar nicht in der Lage, die benötigen Selbsttests anzubieten. Wir haben versucht, 60.000 Selbsttest auf dem Markt zu kaufen. Wir kriegen aber keine Selbsttest. Das ist absolut unerfreulich“, bilanzierte Dr. med. Frank Renken, Leiter des Gesundheitsamtes Dortmund, in der ebenfalls gestern abgehaltenen Video-Konferenz des MB-Bezirks Dortmund. Fazit: „Wir können das System Schule in Dortmund in dieser 3. Welle gar nicht unterstützen.“

    Dr. Frank Renken sprach von einem „regelrechten Dilemma“. Noch dazu gebe es für die Selbsttests aktuell auf dem Markt „Wucherpreise“. Während Schnelltests mit ihrer 98-prozentigen Testgenauigkeit derzeit nur vier Euro kosteten, verlangten die Hersteller der Selbsttests, die nur eine 80-prozentige Nachweisgenauigkeit besitzen, mittlerweile zehn Euro.

    „Unzweideutig befinden wir uns aktuell am Beginn einer dritten Welle“, schilderte Frank Renken die Situation in der gut 590.000 Einwohner zählenden Ruhrgebietsmetropole. „Vor einer Woche haben wir versucht, die Landesregierung davor zu warnen, die Schulen vor Ostern für fünf Tage zu öffnen. Vergeblich. Daraus sind nur politische Scharmützel geworden.“

    „Wir hatten uns zuvor mit unseren Meldezahlen befasst und anhand der Altersstruktur erkannt, dass wir vor der 3. Welle stehen. Und tatsächlich ist der Dortmunder Inzidenzwert in den folgenden fünf Tagen von 72 auf 109 gestiegen. Die Realität belegte nicht nur unsere Prognose, sie übertraf sich leider auch noch“, berichtet Renken.

    „Es ist festzustellen, dass in der 3. Welle bisher eher die jüngeren Menschen von schweren Krankheitsverläufen betroffen sind.“ Vorwiegend handele es sich dabei um die britische Mutationsvariante, deren Ansteckungsfähigkeit etwa in Familien von Renken mit 100 Prozent beziffert wird. „Wenn in einem Krankenzimmer ein Patient infiziert ist, werden zwangsläufig alle Mitpatienten im Zimmer infiziert. Wir haben erstmals sogar Säuglinge mit schweren Verläufen. Mittlerweile sogar schon fünf Säuglinge. Es handelte sich dabei nur um die britische Variante. Das Ganze bereitet mir große Sorgen!“

    Frank Renken geht des Weiteren davon aus, dass die natürliche Immunität der genesenden Infizierten nur zeitlich begrenzt ist. „Wir kennen zwei Fälle der Reinfektion innerhalb weniger Monate. Wir werden zukünftig – wie bei der Grippe – die Bürger regelmäßig den Impfstatus auffrischen müssen. Das wird für Hausärzte ein dauerhafter Geschäftsbereich werden. Wir haben es noch lange nicht überstanden. Aber die Impfung wird unsere wirksamste Waffe gegen die Corona-Viren blieben.“

    Die Lage bei der Lieferung der Impfstoffe sei „absolut unübersichtlich“. In den beiden nächsten Wochen sollten für ganz NRW 190.000 Impfdosen bereitgestellt werden. „Wir haben dafür massenhaft Termine in Dortmund vereinbart. Und jetzt ist plötzlich die Liefermenge für NRW auf nur noch 47.000 Impfdosen geschrumpft. Wir hoffen aber, dass Biontech uns noch Zusatzlieferungen bereitstellen kann.“