• „Wir wollen beraten und mitsteuern, nicht nur das Geld verteilen.“

    AOK-Chef Tom Ackermann spricht vor ÄKWL-Kammerversammlung / Medizinische Versorgung der Zukunft
    02.Dezember 2021
    Münster. Zum Auftakt der 8. Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe gab Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK NordWest, ein Impulsreferat zum Thema „Wie sieht die medizinische Versorgung der Zukunft aus? Kurz und knapp: Die medizinische Versorgung wird vernetzter, integraler, digitaler, interprofessioneller, kooperativer, integrativer und regionaler. Und auch die Substitution ärztlicher Leistungen werde künftig ein Thema sein, ist Tom Ackermann überzeugt.

    „Die Gesetzgebung der aktuellen Legislatur hat der Digitalisierung im Gesundheitswesen einen wichtigen Schub gebracht. Weitere Reformen der sektorenübergreifenden Versorgung, einheitliche Struktur- und Qualitätsvorgaben sowie die Krankenhaus- und Notfallreform und Impulse zur regionalen Gestaltung müssen in der neuen Legislatur angestrebt werden. Die Ampelkoalition plant weitere strukturellen Schritte zur Überwindung der Sektorengrenzen“, prognostiziert Tom Ackermann. Er plädierte dafür, dass die Krankenkassen bei der Vorstellung des Versorgungsbedarfs beteiligt werden: „Wir wollen beraten und mitsteuern, nicht nur das Geld verteilen.“

    Doch zuvor werde die Corona-Pandemie weiterhin das Gesundheitswesen herausfordern. „Vor zwei oder drei Monaten habe ich diese vierte Welle nicht geahnt.“ Er glaube kaum, dass ein weiterer Lock down zu vermeiden sei. Tom Ackermann zollte anfänglich den 121 Delegierten - stellvertretend für alle Ärztinnen und Ärzte - seinen persönlichen Dank, dass sie „noch aufrecht stehen und die Geduld haben, alles zu ertragen, was in der Corona-Pandemie nicht gut läuft.“

    Abschließend kündigte Ackermann Beitragssteigerungen an, denn „unser Kasse ist leer. Alles, was in der Corona-Zeit passiert, kostet immens viel Geld. Zudem haben die neuen Leistungsgesetze der scheidenden Regierung in den letzten Jahren die Ausgaben um 33 Milliarden erhöht“.

    Ackermann Vortrag erzeugte im Plenum eine lebhafte Debatte, in der Kammerpräsident Dr. med. Hans-Albert Gehle die Diskussion über die Delegation/Substitution ärztlicher Leistungen als Fehler bezeichnete. „Weder Pflegekräfte noch die Ärzte haben doch ausreichend Zeit für Patienten. Man darf auch nicht die unterschiedlichen Qualifikationsmerkmale übersehen.“

    Es sei bedenklich, dass Krankenkassen glaubten, dass angeblich ausreichend Ärztinnen und Ärzte vorhanden seien, ergänzte Prof. Dr. med. Rüdiger Smektala (Bochum). „Das ist nicht akzeptabel. In vielen Kliniken in Westfalen-Lippe können Dienste in Kliniken wegen des Ärztemangels nicht besetzt werden. Nach der Wiedervereinigung wurden 6.000 Studienplätze gestrichen. Die Ärzte sind weg, sie fehlen uns.“

    Prof. Smektala begrüßte derweil die Herausnahme der Pflegekosten aus den DRG, die Ackermann hingegen als „Obergau“ bezeichnet. Auch die ärztliche Vergütung müsse aus den DRG herausgenommen werden, mahnte Smektala weiter. Die Pflegepersonaluntergrenze habe er begrüßt, „vergleichbares brauchen wir Ärzte auch, um nicht überlastet zu werden“.

    „Sie glauben wirklich“, erwiderte Ackermann, „dass Sie mit mehr Ärzten die Probleme in den Kliniken lösen können? Wow! Der Meinung bin ich nicht. Wir werden da wohl nicht zu einer gemeinsamen Meinung kommen.“ Man dürfe aber einer konstruktiven Debatte aber durchaus unterschiedlicher Ansichten haben.

    Um Legenden vorzubeugen, korrigierte Dr. med. Ingolf Hosbach (Bochum) die Einschätzung Ackermanns, dass Deutschland einen Spitzenplatz bei der Ärztedichte innehabe. „Wir liegen im OECD-Vergleich doch nur im vorderen Drittel, sogar Griechenland und Skandinavien haben eine höhere Ärztedichte.“ Andere Delegierte forderten allenfalls Substitution bei der Dokumentation und Bürokratie, die wertvolle ärztliche Arbeitszeit raube. „Das wäre eine wirkliche Entlastung!“

    Dr. med. Rolf Cramer zeigte sich überzeugt, dass Corona nicht nur bei den Kassen tief schwarze Löcher erzeugen werden, sondern auch zahllose Kliniken in die Insolvenz treiben wird. „Es gibt doch Politiker und Kassen, die sich freuen, wenn Kliniken schließen müssen.“ Ackermann erwiderte, er sei „kein Freund der kalten Krankenhausplanung“.

    Auf die ärztliche Kritik an renditeorientierten Investoren in Kliniken, MVZ und Praxen erklärte Ackermann: „Sie selber sind als Freiberufler doch auch gewinnorientiert. Wo wollen Sie denn die Grenze ziehen?“ Widerspruch kam prompt vom ÄKWL-Vizepräsidenten Dr. med. Klaus Reinhardt. „Natürlich habe ich legitime Gewinnerwartungen. Aber, es macht doch einen riesigen Unterschied, ob ich im Gespräch mit meinem Patienten ärztlich handeln kann oder in einer Institution arbeite, in der mich Boniregeln, Zielvereinbarungen oder Gewinnerwartungen als Arzt einschränken.“