• Wo es an Wertschätzung einfach noch mangelt

    Kommentar unseres Landesvorsitzenden Dr. med. Hans-Albert Gehle
    25.Juni 2020
    In der Corona-Pandemie haben die Bürger uns Ärztinnen und Ärzten eine bisher nie dagewesene Wertschätzung entgegengebracht. Auch Politiker aus Bund und Ländern würdigten in beispielloser Art unser außerordentliches Engagement in den Kliniken, Praxen und im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Wir sind seit Beginn der COVID-19-Infektionen hierzulande unserer Berufung getreu unseres ärztlichen Selbstverständnisses nachgegangen. Corona fordert unseren persönlichen Einsatz heraus. Oftmals haben wir außerhalb der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes gearbeitet, um unsere Patienten bestmöglich zu versorgen und eine drohende Überforderung unseres Gesundheitswesens abzuwenden. Wir haben uns dabei täglich besonderen gesundheitlichen Risiken einer Infektion ausgesetzt, auch in Sorge um gefährdete Familienangehörige. Das verdient in der Tat eine hohe Wertschätzung, auch wenn unser Handeln für uns selbstverständlich ist.

    In den vergangenen Monaten haben wir berechtigte Hoffnungen gebildet, dass uns diese Wertschätzung auch von unseren Arbeitgebern entgegengebracht wird, dass endlich nicht mehr die ökonomischen Vorgaben zwecks Profitmaximierung maßgeblich sind, sondern die medizinischen Bedürfnisse unserer Patienten; dass sich unsere Arbeitsbedingungen und die personelle Ausstattung sowie die Finanzierung der Kliniken verbessert.

    Mit großem Erschrecken müssen wir aber feststellen, dass in manchen Bereichen die Ereignisse der letzten Wochen nicht dazu geführt haben, dass Arbeitgeber die überfällige Kehrtwende in ihrem Verhalten vollziehen. Dies betrifft aktuell sowohl die Caritas, die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken als auch den Bereich des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Hier ist ein adäquater Dank der Arbeitgeberseite an die Ärzteschaft für deren Engagement leider nicht festzustellen.

    Bedauerlicherweise sogar eher das Gegenteil. Die Dienstgeberseite und auch große Teile der Dienstnehmerseite der Caritas jubilierten Ende voriger Woche, dass endlich ein „Tarifabschluss“ für Ärzte erzielt worden sei. Der Beschluss der Arbeitsrechtlichen Bundeskommission (AK) sieht jedoch vor, die im Vorjahr bei kommunalen Kliniken erzielten Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen bei der Caritas erst frühestens mit einer 18-monatigen Verspätung in Kraft treten zu lassen.

    Ob manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung, weniger Dienste, weniger Wochenenden oder die bessere Planbarkeit der Dienstpläne – all das soll bei der Caritas erst Anfang 2021 gelten. Selbst die Gehaltserhöhungen werden verzögert. Dass die Caritas dies auch noch bejubelt, belegt ein befremdliches Selbstverständnis.

    Mal wieder missbraucht die Caritas den sog. Dritten Weg als einen streikfreien Sonderweg, um schlicht Personalkosten einzusparen. Mit der gerade in der Corona-Krise geforderten Wertschätzung – übrigens bedeutet das lateinische Wort Caritas gerade dies – hat das überhaupt nichts zu tun. Wie will die Caritas auf diesem Irrweg junge Ärztinnen und Ärzte gewinnen und seit langem für sie tätige Ärzte noch halten?

    Gerade unsere jungen Ärztinnen und Ärzte haben doch in unseren Umfragen klargestellt, dass es bei den Arbeitsbedingungen spürbare Entlastungen geben muss. Jetzt sollen bei der Caritas in kleinen Fachabteilungen aber auf alle Zeit bis zu sieben Dienste erlaubt sein, obgleich das Arbeitszeitgesetz nur maximal vier erlaubt? Wir und andere Arbeitgeber sind an dieser Stelle schon deutlich weiter. Etwa in unserem Tarifvertrag für die kommunalen Kliniken.

    Offenbar hat die Caritas noch immer kein Interesse an einer wirklichen Verbesserung ärztlicher Arbeitsbedingungen, sondern will lieber ihre Bilanzen auf Kosten der Ärzteschaft verbessern. Ein solcher „caritativer“ Sonderweg führt in eine Sackgasse. Wir sollten ihn nicht länger mitverfolgen. Wir müssen uns entscheiden, ob wir uns weiter an der Beschlussfassung in der AK beteiligen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse (Drei Ärztevertreter unter 62 AK-Mitgliedern) ist es aussichtlos, dort wirkliche Verbesserungen für Ärzte zu erreichen. Vergessen wir nicht, dass es sehr wohl auch anders geht, das zeigt uns im kirchlichen Bereich zum Beispiel die Diakonie.

    Auch bei den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken mangelt es derzeit an Wertschätzung für Ärzte. Eine bereits erzielte Einigung mit den notwendigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen widerriefen die Arbeitgeber in allerletzter Minute – ein beispielloser Vorgang in der Tarifgeschichte. Nach zwei dadurch notwendigen neuen Tarifrunden sind die Fronten verhärtet.

    Die BG weigert sich, die in anderen Tarifbereichen bereits etablierten Tarifstandards für Ärzte auch für die BG-Kliniken anzuerkennen. Über 400 BG-Ärztinnen und -Ärzte – davon alleine 150 in Bochum und Ludwigshafen – haben vorige Woche dagegen protestiert. Wo bleibt die faire Wertschätzung für BG-Klinikärzte? Wer Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern bei Gehältern und Arbeitsbedingungen gültige Standards für Klinikärzte verweigert, belegt eine nicht mehr zeitgemäße Arbeitgeberhaltung. Inmitten der Corona-Pandemie getroffene Vereinbarungen gar zu widerrufen – einen schlechteren Zeitpunkt hätte man nicht wählen können. Die BG-Kliniken bleiben aufgefordert, gerade in der Corona-Pandemie einen fairen Tarifabschluss zu vereinbaren.

    Zu guter Letzt zum ÖGD: Seit Jahren blockiert die VKA die gebotene Wertschätzung für Ärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen. Jeder dritte Arzt hat in der Folge den ÖGD verlassen. Da der ÖGD die Hauptlast bei der Eindämmung der Pandemie leisten muss, will der Bund jetzt Nothilfe leisten, weil die verantwortlichen kommunalen Spitzen seit Jahren versagen.

    Die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur Stärkung des ÖGD müssen so schnell wie möglich realisiert werden. Wir fordern die politisch Verantwortlichen in Bund und Land, die Bürgermeister und Landräte auf kommunaler Ebene auf, umgehend einen „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ zu schließen und sofort umzusetzen.

    Damit soll eine Mindestpersonalausstattung bei Gesundheitsämtern festgelegt und ärztliche Gehälter an die Entwicklung in anderen Bereichen des Gesundheitswesens angepasst werden. Dies muss verbindlich über Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gewährleistet werden. Der Bund will die Kosten refinanziert. Es ist deshalb unglaublich, dass nichts passiert. Der ÖGD blutet aus und die Bevölkerung wird in Gefahr gebracht. Gerade auch die Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes verdienen doch die gebotene Wertschätzung.